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Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
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Mama höchstens gebraucht, um Baba zu erwürgen.
    Nein, meine Eltern waren nicht wie die Ehepaare, sondern wie zwei aneinander gekettete Sträflinge. Und das auch noch in einem selbst gebauten Gefängnis. Einmal fragte ich Mama, warum sie und Baba sich nicht scheiden ließen, denn diese Streitereien machten uns alle krank.
    »Wie kannst du nur so etwas sagen?« Mama sah mich entsetzt an.
    »Aber ihr streitet nur, Baba haut dich, und ihr mögt euch doch gar nicht.«
    »Das ist doch kein Grund, sich scheiden zu lassen.«
    »Warum lässt man sich sonst scheiden?« Ich fragte mich, was wohl schlimmer sein mochte, als mit jemandem zusammenzuleben, den man gar nicht ausstehen konnte. »Na … wegen anderen Sachen halt.«
    »Verstehe ich nicht.«
    »Ich kann mich doch nicht einfach scheiden lassen, was soll ich meinen Eltern und meinen Geschwistern erzählen?«
    »Aber die leben doch gar nicht hier!« Ich wunderte mich, was Mamas Eltern und Geschwister mit ihrer Ehe zu tun hatten. Der einzige Kontakt zu ihrer Familie waren tränenreiche Telefonate, die so teuer waren, dass sie nur zu bestimmten Anlässen geführt werden konnten, und so laut, dass die Nachbarn wütend gegen die Heizungen schlugen, damit endlich Ruhe einkehrte.
    »Es würde meiner Mutter das Herz brechen, wenn ich mich scheiden ließe.«
    »Wenn deine Mutter wüsste, dass du unglücklich bist, würde ihr das doch auch das Herz brechen.«
    »Das weiß sie aber nicht. Unglück kann man verbergen, eine Scheidung nicht.«
    »Mama, wärst du glücklich, wenn ich unglücklich wäre?«
    »Natürlich nicht!«
    »Aber Mama …«
    »Schluss jetzt. Geh spielen, mein Sohn.«
    Ein einziges Mal in den vielen Ehejahren ging Baba mit meiner Mutter aus. Es war wie ein Wunder. Baba ging nie aus, er tat nie etwas, das Spaß machte, und ich fragte mich, wie Mama es geschafft hatte, ihn dazu zu überreden – es war wohl ein kläglicher Versuch, die Grenzen ihrer Scheinehe zu sprengen. Baba zog ein Hemd an und kämmte sich die Haare, Mama schminkte sich. Sie hatten sich schick gemacht und wirkten wie normale Eheleute, und als Mama ihren Arm in Babas Arm einhakte, war ich völlig aufgelöst, weil dieses Bild mir so fremd erschien wie eine Oase in der Wüste. Ich rieb meine Augen, bis ich mir sicher sein konnte, keine Fata Morgana vor mir zu sehen.
    Eine Stunde später waren meine Eltern wieder zu Hause. Mama mit Tränen in den Augen und verschmierter Mascara, Baba mit seinem üblichen muffigen Gesichtsausdruck. Wie immer gab er meiner Mutter die Schuld an allem. Dabei hatte sie ihm zuliebe einen Film mit Sylvester Stallone, der gerade neu in den Kinos angelaufen war, ausgesucht, obwohl sie Gewalt hasste. Nach einer Viertelstunde schlief Baba ein und sein monotones Schnarchen dröhnte durch den Kinosaal. Einige Besucher lachten oder beschwerten sich. Mama schämte sich zu Tode. Erst als Rambos Maschinengewehr Baba aus dem Tiefschlaf hochschrecken ließ, sprang er vom Sitz auf und zerrte meine Mutter wütend aus dem Kino. Den ganzen Heimweg über schimpfte er, er habe den ganzen Tag gearbeitet, Mama habe ihn in ein teures Kino geschleppt und einen Film ausgesucht, der zum Einschlafen war. Mama motzte dann, Fische würden eher fliegen lernen, als Baba Mensch zu sein. Baba war eben Baba und ließ sich nicht einmal von Rambo beeindrucken. Mama meinte immer, wir sollten niemals aufhören zu hoffen, denn ohne Hoffnung würde man nicht lange leben. Ich wollte lange leben und hörte nie auf zu hoffen. Hoffen auf einen ruhigeren Baba, hoffen, echte Freunde zu finden, hoffen auf richtiges Spielzeug – und manchmal, wenn ich lange genug gehofft hatte, machte sich Hoffen auch bezahlt. Mein erstes richtiges Spielzeug, das nicht aus dem Müll anderer Leute stammte, war ein alter Walkman, den Mama auf einem Flohmarkt gekauft hatte.
    Ich besaß nur eine einzige Kassette – die des Vorbesitzers –, die ich ständig vor- und zurückspulte, vor und zurück, immer wieder, Tag für Tag. Mama hielt die Welt für einen giftigen Ort, zugemüllt mit schlechten Menschen, die lauter schlechte Dinge taten, einem Ort voller Versuchungen, denen nur Menschen mit einer außergewöhnlichen Willensstärke standhalten konnten. »Wenn gerade etwas Schlimmes geschieht, möchte ich, dass du dir die Kopfhörer aufsetzt, die Play-Taste drückst und dir vorstellst, an einem anderen Ort zu sein. Diese giftige Welt kann selbst ein unschuldiges Kind verderben und das soll dein Zufluchtsort werden«, sagte Mama und

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