Massiv: Solange mein Herz schlägt
uns in einem der hinteren Räume. Ashraf sah mich an.
»Alles in Ordnung?«
»Ich denke schon.«
»Was hast du da am Hals?« Er neigte den Kopf zur Seite und sah genauer hin. Ich fasste mir an die Stelle, wo mich der Schlag getroffen hatte.
»Ich weiß es nicht.«
»Sieht aus wie der Abdruck eines Schlagrings.« Die Menge hämmerte gegen die Tür, ich sah an Ashraf herunter, einer seiner Schuhe fehlte.
»Wo ist dein Schuh?«
»Hab ihn irgendwo verloren. Ich glaube, die Verrückten stürmen gleich das Gebäude«, sagte Ashraf und sah zu der Tür rüber, die sich von den Tritten wölbte. Er nahm einige leere Glasflaschen in die Hand, zertrümmerte sie auf den Tischkanten und reichte sie mir. Plötzlich flog ein Backstein durch das Fensterglas, direkt an meinem Schädel vorbei. Kurz darauf stürmte eine Horde wütender Jugendlicher das Gebäude, wie ein Heer eine Festung. Sie gingen mit Gürteln, Flaschen, Steinen auf uns und aufeinander los und wussten überhaupt nicht, warum sie eigentlich kämpften. Ging es hier um diesen einen Satz oder um mich, oder war das einfach nur eine willkommene Situation, Frust abzubauen? Blut, Schreie, knackende Knochen. Jugendliche mit blutenden Gesichtern und Messern in der Hand liefen auf mich zu und wurden von anderen Jugendlichen – die ich noch nie im Leben gesehen hatte – abgewehrt. Es war ein heilloses Durcheinander. Erst als die Polizeisirenen ertönten und man den Hubschrauber über das Gelände fliegen hörte, lösten sich die Massen auf. Alle rannten davon.
Die gesamte Aktion endete mit der Verlängerung meiner Bewährung und einer hohen Geldstrafe – ich musste nicht nur den verursachten Schaden im Saal, sondern auch Schmerzensgeld an verletzte Jugendliche zahlen. Zu guter Letzt behauptete sogar ein Medienwissenschaftler (dass es überhaupt so einen Beruf gibt!), dass die gesamte Aktion eine Inszenierung gewesen sei, um mein Image zu stärken (da hatte man schon so einen nutzlosen Beruf und war nicht einmal gut darin!). Das kommt eben davon, wenn man Mama beleidigte. Glücklicherweise war ich Chaos, Zerstörung, Drohungen und Probleme gewohnt. Mit dem Eintritt in die Rap-Szene verhielt es sich wie mit einem Lauf übers Minenfeld – man wusste nie, wo und wann die nächste Explosion stattfinden würde. Aufgeben war nicht mein Ding, ich würde weitermachen, da war ich mir sicher. Man musste mich schon vollkommen außer Gefecht setzen, andernfalls würde ich niemals aufhören, das zu tun, was ich liebte.
Jeder wartete auf mein nächstes Album Ein Mann, ein Wort ; die einen, um es zu kaufen, die anderen, um es zu kritisieren. So oder so, alle warteten darauf. Ich blendete monatelang alles aus, konzentrierte mich vollkommen aufs Texten und die Studioaufnahmen – es sollte das Album werden. Jedes meiner Videos kostete um die 50000 Euro, es war eine deutschlandweite Werbeaktion geplant, und ich setzte alle meine Erwartungen in dieses Album. Kurz vor der Veröffentlichung gab ich ein Interview nach dem anderen. Nach dem Live-Interview mit Aggro Radio fuhren ich und Haydar in meinem sehr auffälligen blauen BMW durch die Straßen. Ich bog in die Schierker Straße ein, Haydar bat mich anzuhalten, weil er Zigaretten kaufen wollte. Ich hielt an, Haydar ging Richtung Kiosk, und ich stieg aus dem Auto, um etwas Luft zu holen, ich fühlte mich müde und ausgelaugt. Die letzten Monate hatte ich rund um die Uhr gearbeitet, ich war überhaupt nicht mehr in der Lage, irgendetwas zu genießen. Wenn ich mit Freunden auf einer Party war oder im Kino saß, ging ich in Gedanken die Pläne für den Rest der Woche durch.
Ich fühlte mich schlecht, wenn ich mich nicht gerade im Studio befand oder an einem Song feilte. Während sich alle anderen erfolgreichen Rapper auf roten Teppichen vergnügten und Groupies flachlegten, hockte ich alleine vor meinem Schreibtisch und schrieb Songs. Es war zu einer Art Obsession geworden, einen Song nach dem nächsten aufzunehmen, ein neues Video zu drehen, immer mehr zu wollen und an meine Grenzen zu gehen. Bevor der Wecker morgens klingelte, war ich schon ein Dutzend Mal wach geworden und hatte auf die Uhr geschaut, ob ich nicht verschlafen hatte. Selbst die Mitarbeiter von Sony wunderten sich über meine deutsche Pünktlichkeit und die Disziplin, mit der ich an Projekte ranging. Erst da wurde mir die Bedeutung des Wortes Ehrgeiz wirklich bewusst: Die Gier nach Ehre, Geld, Ansehen und allem anderen, wonach man so gieren konnte, bestimmte meinen
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