Massiv: Solange mein Herz schlägt
gesamten Alltag. Jedes Mal, wenn ich ein Projekt fertiggestellt und das Geld dafür erhalten hatte, fühlte ich mich für einen gewissen Zeitraum befriedigt, nur um kurz darauf wieder an neuen Plänen zu arbeiten. Ich war einerseits zufrieden, andererseits unzufrieden. Auf der einen Seite glücklich, meinen Träumen so nahe gekommen zu sein, auf der anderen Seite unglücklich, dass mich nur noch die Scheine, die ich erhielt, glücklich machen konnten. Als Kind hatte ich noch andere Pläne. Es fiel mir schwer, diese Gedanken zurück in mein Gedächtnis zu holen. Ich hatte in den letzten Monaten die Substanz meiner Ziele aus den Augen verloren: Früher ging es mir darum, meinen Traum zu leben, dieses Leben zu genießen und nicht nur mein Geld damit zu verdienen.
Ich sah auf die Uhr, ich konnte kaum etwas erkennen, so dunkel war es. Ich würde nach Hause gehen und noch etwas arbeiten, dachte ich mir. Nur noch ein Monat, dann hatte ich es hinter mir, dann konnte ich mich entspannt zurücklehnen und meinen Erfolg endlich genießen. Langsam müsste Haydar kommen, dachte ich mir, drehte mich um – und wie aus heiterem Himmel stand eine maskierte Gestalt vor mir, die eine Waffe auf mich richtete.
KAPITEL 17
Eine Kugel reicht nicht
Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.
Samuel Beckett
Ich wache davon auf, dass Haydar mich anbrüllt. In seinem Blick spiegelt sich – ich kann es nur schwer deuten – Angst, Sorge und vielleicht auch Wut wider. Ist er wütend auf mich, frage ich mich, während mich der Geruch warmen Blutes und die Laute heulender Sirenen wie eine Sintflut übermannen? Es fühlt sich an, als wäre ich unter Wasser, die Geräusche sind dumpf und unverständlich, das Bild verschwommen und undeutlich. Irgendetwas muss passiert sein, ja, sonst hätte Haydar nicht diesen Blick. Haydar hat immer einen bestimmten Ausdruck in seinen abgründigen dunklen Augen, meistens einen unzufriedenen, ruhelosen, doch jetzt, jetzt, sehe ich da Angst. Und wenn Haydar Angst hat, dann nur um jemanden und nicht vor jemandem. Ich will aufstehen, herausfinden, was geschehen ist, aber ich werde mit roher Gewalt wieder heruntergedrückt. Haydar schreit mich an, dieses Mal ist er eindeutig wütend. Was ist los? Warum liege ich überhaupt am Boden? Ich schaue nach rechts und sehe wie Haydar sein Knie gegen meinen Arm drückt. Seine Jeans ist blutrot und triefnass. Erst da fällt es mir wieder ein. Ich wurde angeschossen und anscheinend auch getroffen. Ich will ihn wegstoßen, weil ich keine Schmerzen spüre.
»Es ist halb so wild«, sage ich laut, und er drückt sein Knie fester gegen meine Wunde. Ein lähmender Schmerz durchfährt mich. Ich zucke zusammen, als wäre ich auf dem elektrischen Stuhl, und Haydar brüllt: »Bleib liegen!« Einige Männer in greller Kleidung beugen sich über mich und stellen mir eine Menge Fragen.
»Ja, verdammt … es geht mir gut, verdammt … halb so wild, verdammt … bin nicht tot, Allah sei Dank«, antworte ich. Wieso stellen die mir überhaupt so viele Fragen, ist das hier eine Art Interview?
»Ein glatter Durchschuss«, murmelt ein Sanitäter.
»Ist das gut oder schlecht?«, will ich wissen. Keine Antwort.
»Die anderen zwei Kugeln haben den Wagen getroffen«, sagt Haydar zum Sanitäter.
»Waaas?«, schreie ich entsetzt auf.
»Beruhig dich, es ist nur ein Auto, sei froh, dass du noch am Leben bist.«
Ich denke an meinen neuen BMW, die teuren Felgen, die beigen Ledersitze und frage mich, ob jedes meiner Autos dazu verdammt ist, einen grausamen Unfalltod zu sterben.
Im Krankenhaus wird die Wunde versorgt. Ich habe viel Blut verloren, aber ich habe Glück, denn die erste Kugel hat mich zu Boden geschmettert und somit verhindert, dass ich ein weiteres Mal getroffen wurde. Ein Arzt fragt mich, ob ich berühmt sei oder so. Warum diese Frage? Er antwortet, weil vor dem Krankenhaus eine Horde Jugendlicher mit Blumen und Journalisten mit Kameras auf mich warten würden. Ich wundere mich, der Zwischenfall ist nicht einmal eine Stunde her. Haydar sagt, er habe Ali angerufen, damit der meine Mutter informiert, und als wir bei Ali nachhaken, meint er, er hätte es nur seinem Cousin über MSN erzählt. Das macht mich wütend, in den Netzwerken verbreiten sich Nachrichten schneller als ein Lauffeuer.
Noch am selben Abend entlasse ich mich selbst – trotz Schläuchen im bandagierten Arm. Es fällt mir schwer zu realisieren, dass jemand seine Fantasie in die
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