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Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
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Realität umgesetzt und tatsächlich auf mich geschossen hat. Dieser Mensch muss mich gehasst haben. Hass. Ein Gefühl, so stark und aufdringlich, es pflanzt unvorstellbare Gedanken in den Verstand und lässt den Wunsch nach Zerstörung wachsen, wie einen aggressiven Tumor. Hass und Wut sind manchmal die einzige Möglichkeit für einen Menschen ohne Perspektiven, sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Denn Hass ist stark und wütend, Hass auszuleben mächtig und verwüstend.
    Ich versuche nicht mehr daran zu denken, wie meine Musik oder ich so viel Hass erzeugen konnten, dass ein womöglich völlig Fremder sein Leben und seine Freiheit riskiert hat, um mich außer Gefecht zu setzten. Zu Hause fällt mir meine Mutter um den Hals und drückt dabei versehentlich gegen meine Wunde. Ich winde mich aus ihrer schmerzlichen Umarmung und sehe die dicken roten Tränensäcke unter ihren Augen. Sie muss viel geweint haben. Selbst Baba sitzt wie angewurzelt auf der Couch, seine Lider zittern, als er an meinem Arm heruntersieht.
    »Es ist genug! Ich will dich nicht eines Tages begraben, nein, ich bin deine Mutter, das will ich nicht! Du bist mein Fleisch und Blut, ich habe dich neun Monate lang unter meinem Herzen getragen – ich will und werde dich nicht begraben!« Meine Mutter ist vollkommen aufgelöst, weiß nicht, ob sie mich umarmen oder ohrfeigen soll, schließlich habe ich mich selbst in diese Lage gebracht, immerhin gab es genug Anzeichen in der Vergangenheit.
    »Mein Sohn, deine Mutter hat recht. Kein Geld der Welt ist es wert, dafür zu sterben.« Mein Vater sieht besorgt aus, er hat mein Sohn gesagt, er ist wirklich besorgt.
    »Es geht nicht nur um Geld«, erwidere ich. Ashraf räuspert sich, und im Weggehen sagt er mir leise, dass eine Patrouille den Rest der Nacht Wache halten werde.
    »Wofür tust du dir und uns das sonst an?« Meine Mutter weinen zu sehen ist fast noch schmerzhafter als angeschossen zu werden.
    »Es ist … es ist eben mein Traum.«
    »Auch für einen Traum lohnt es sich nicht zu sterben. Du solltest aufhören, solange du noch kannst.«
    In den Worten meines Vaters schwingt ein ängstlicher und gleichzeitig fürsorglicher Unterton mit. Meine Eltern fürchten die Zukunft, sie fürchten meine Zukunft. Vielleicht ist es an der Zeit aufzugeben. Ich wurde bedroht, geschlagen und bin mit einer Schussverletzung davongekommen – was wird als Nächstes geschehen?
    Vielleicht hat mein Vater recht, vielleicht lohnt es sich nicht, für einen Traum zu sterben. Doch wenn ich so nachdenke, gibt es nicht vieles auf dieser Welt, für das ich bereit wäre zu sterben. Ich wäre bereit, für meine Familie zu sterben und … für was noch? Um bereit zu sein, für etwas zu sterben, muss man es sehr lieben, und wenn ich darüber nachdenke, gibt es nicht viele Menschen oder Dinge um mich herum, die ich sehr liebe. Die Musik liebe ich, auf die Bühne zu gehen liebe ich, aber das zu tun, was ich tun will , liebe ich sehr. Eigentlich lohnt es sich sehr wohl, alles für seinen Traum zu geben, ja, möglicherweise sogar dafür zu sterben, denn lieber führe ich ein kurzes Leben, das ich leben will , als ein langes, das ich leben muss .
    »Es tut mir leid, dass ihr meinetwegen so viele Probleme und Sorgen hattet, aber ich habe nicht vor aufzugeben, eine Kugel reicht nicht, um mich umzubringen.« Meine Eltern sehen nicht überrascht aus, wahrscheinlich hatten sie bereits mit so einer Antwort gerechnet. Meine Mutter streicht mir über den Verband und setzt eine Miene auf wie eine Mutter, die ihren Sohn in den Krieg ziehen lässt. Das ist mein persönlicher Krieg, da kann ich mir jetzt sicher sein, ich habe ihn begonnen und werde ihn zu Ende bringen, ganz gleich, wie viele Opfer ich noch bringen muss. Ich legte mich schlafen und bekomme kein Auge zu. An den Schuss denke ich nicht mehr, sondern an die Folgen. Wie wird sich mein Plattenlabel verhalten, immerhin kommt es nicht alle Tage vor, dass ein Rapper aus Deutschland angeschossen wird. Wie wird sich das auf mein kommendes Album auswirken? Es ist wie ein Fluch: Jedes Mal, bevor ich eine Armlänge davon entfernt bin, nach den Sternen zu greifen, geschieht irgendetwas, das mich wieder an den Anfang zurückwirft.
    Am nächsten Morgen wache ich vom Klingeln meines Handys auf. Ashraf ist dran: »Hast du schon die Zeitungen gelesen? Es steht überall drin.« Ich stehe auf, mein Oberarm brennt, fühlt sich schwer an, doch ich ignoriere den Schmerz und setze mich an den Laptop. Als

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