Massiv: Solange mein Herz schlägt
Eine Woche später war ich immer noch krank. Ich aß nicht, Mama stopfte mir Brot in den Mund. Ich trank nicht, Mama goss mir warmen Tee in den Hals. Ich sagte nichts, Mama weinte vor Verzweiflung.
Der Arzt meinte, ich hätte kein Fieber, keinen Schnupfen, keine Halsschmerzen, doch ich war schwach wie ein Kind nach wochenlanger Lungenentzündung. Ich bekam Medizin. Ich wollte keine Medizin. Ich wollte nicht essen, nicht trinken, nicht Mama sehen. Es kam mir vor, als würde ein stacheliges Insekt in meinem Kopf herumschwirren und mich verrückt machen. Ich wollte nur schlafen, denn wenn ich schlief, schlief auch das Insekt. Zwei Wochen später zog Mama mir die Decke weg, sie fand, ich hätte genug geschlafen und es wäre an der Zeit aufzustehen. Mein Kopf fühlte sich schwer an, ich hielt ihn fest. Mama fragte, was mit mir los sei.
»Da sind Insekten in meinem Kopf«, jammerte ich.
»Was meinst du damit?« Mama betrachtete mich mit einem angespannten Blick.
»Sie fliegen herum und machen mich ganz wahnsinnig.«
»Hör auf, so einen Unsinn zu reden. Du machst mir ja Angst.«
»Wirklich, Mama.«
»Das kommt davon, weil du seit zwei Wochen nicht aus dem Bett gekommen bist. Ab Montag gehst du wieder in die Schule, und morgen früh bringe ich dich zu Yenge, dein Baba und ich müssen an diesem Wochenende arbeiten.«
»Wenn ich noch einmal zu Yenge muss, stürze ich mich vom Balkon.« Ich richtete mich auf und war plötzlich hellwach. Mama schaute entsetzt und runzelte die Stirn. Ich hatte noch nie damit gedroht, mich vom Balkon zu stürzen.
»Gut, Yenge ist keine Bilderbuchtagesmutter, vielleicht riecht sie komisch, und mittags macht sie dieses Essen, das auch komisch riecht. Gut, Yenge gibt sich nicht viel Mühe, und ihre Söhne sind nicht besonders schlau, aber Yenge ist nicht bösartig.
Ich würde dir gerne eine gute Tagesmutter besorgen, doch eine gute Tagesmutter kostet gutes Geld, und wir sind keine Millionäre. Du solltest dich glücklich schätzen, dass sich Yenge um dich kümmert – und das nur für einen Sack Kartoffeln oder Zwiebeln. Wer passt schon den ganzen Tag für einen Sack Kartoffeln auf einen kleinen Jungen auf?«
»Wenn ich noch einmal zu Yenge muss, stürze ich mich vom Balkon – das schwöre ich!« Dieses Mal sagte ich das lauter und bestimmter.
»Meine Güte, du redest ja melodramatisch wie ein Filmstar.«
Ich stürzte mich nicht vom Balkon – um sich von irgendwo herunterzustürzen, braucht man Mut, und davon besaß ich nicht viel. Wir klingelten. Keiner würde mir helfen, ich müsste zurück in das Zimmer, das nach ranziger Milch und gestohlenen Kindheiten roch. Yenge öffnete die Tür. Sie sah mich nicht an und sagte nur, sie würde nicht mehr auf mich aufpassen. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ismail stand hinter ihr und schaute betreten zu Boden. Mama fragte nach dem Grund. Yenge antwortete, ich könnte mich nicht benehmen und würde einen schlechten Einfluss auf ihre Söhne ausüben. Es war mir egal, was Yenge sagte. Sie hätte auch behaupten können, ich hätte sie bestohlen, und ich hätte es akzeptiert. Mama spottete, wie ein neunjähriger Junge schlechten Einfluss auf heranwachsende Männer ausüben könnte. Yenge antwortete höhnisch, der Schaitan , Teufel, könne auch in einem kleinen Jungen stecken. Mamas Blick wurde starr, sie knirschte mit den Zähnen, griff in ihre Tüte und warf Yenge eine Kartoffel an den Kopf.
»Du nennst meinen Sohn einen Schaitan?«, schrie Mama. Yenge knallte ihr die Tür vor der Nase zu, und Mama trat kräftig dagegen, dann packte sie mich am Handgelenk und schleifte mich aus dem Treppenhaus.
»Wieso sagst du denn nichts?« Ich war müde, müde von den Erwachsenen und ihren tauben Ohren. Wir gingen ein Stück, und ich stellte Mama die Frage, die mir die ganze Zeit durch den Kopf ging: »Steckt in mir ein Schaitan?«
»Um Gottes willen, du bist noch ein unschuldiges Kind.«
»Mama, ich bin nicht unschuldig.«
»Wasiem, was hast du angestellt?« Mama blieb stehen. Ich war voller Sünden, ich wollte Mama alles erzählen.
»Ich habe vor dem Schulpsychologen geflucht.«
»Du warst beim Schulpsychologen? Wann war das?«
»Als alle dachten, ich wäre ein Rassist.«
»Jallah, jallah.« Mama schüttelte den Kopf. »Was hast du noch verbrochen?«
»Ich hasse Baba manchmal zu Tode.«
»Da bist du nicht der Einzige.«
»Mama, steckt in mir wirklich kein Schaitan?« Ich war vollkommen aufgelöst. Mama umarmte mich.
»Aber nein. Du sollst nicht
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