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Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
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von der Arbeit kam. Es fühlte sich an wie früher, wenn ich etwas ausgefressen hatte und auf Prügel wartete. Als ich den Schlüssel im Schloss einrasten hörte, sprang ich wie elektrisiert auf. Mit zwei Schritten war ich schon vor der Tür, riss sie schnell und unerwartet auf. Mein Vater – dessen Schlüssel noch im Schloss steckte – kippte nach vorne und fiel fast um.
    »Verflucht noch mal, pass doch auf! Du hast mir fast die Hand gebrochen«, schimpfte er. Das war ein toller Start, dachte ich mir und schluckte.
    »Gehst du auf eine Hochzeit?« Baba sah mich skeptisch an.
    »Nein, wieso?«
    »Du trägst ein Hemd und wolltest gerade rausgehen. Willst du etwa diese kleine Italienerin heiraten? Wenn ja, ist das die richtige Entscheidung, ihr seid ja schon seit einer Ewigkeit zusammen – du hättest aber vorher ruhig Bescheid sagen können …«
    »Nein, nein ich heirate nicht.«
    »Natürlich nicht, du fällst nie richtige Entscheidungen.« Baba zog seine Jacke aus und hängte sie akkurat auf einen Bügel. Er strich die Falten glatt – und ich wurde nervös, weil er mich mit dieser Geste an seinen Ordnungsfanatismus erinnerte.
    »Ich stehe hier, weil ich dir die Tür aufmachen wollte.«
    »Aha.« Er zog die Schuhe aus und legte sie, wie immer, im rechten Winkel neben die Haustür. Langsam bewegte er sich in Richtung Wohnzimmer, um wie jeden Tag den Fernseher anzuschalten und Nachrichten zu gucken.
    »Baba, komm kurz mit in die Küche, ich habe Tee für uns gemacht.«
    »Warum?«
    »Einfach nur so.«
    »Ist jemand gestorben?«
    »Nein.«
    »Erst trägst du ein Hemd, dann machst du mir die Tür auf, und jetzt willst du auch noch Tee mit mir trinken. Ist die kleine Italienerin schwanger? Ich sage dir, wenn sie schwanger ist, musst du sie heiraten und dich wie ein Mann verhalten – sofern du dazu in der Lage bist.« Ich schnaufte wütend, mein Vater schaffte es immer wieder, durch eine einzige Bemerkung mein mittlerweile stabiles Selbstbewusstsein in Stücke zu reißen.
    »Nein, Baba. Wir sind überhaupt nicht mehr zusammen!«
    »Warum? Naja, war auch schon klar, was sollte auch eine angehende Ärztin mit einem Banditen anfangen?«
    »Setz dich bitte, Baba, ich muss mit dir reden!« Das Gespräch machte mich langsam nervös, dabei hatte es noch nicht einmal richtig angefangen. Aber dieses eine Mal würde ich mich nicht abspeisen lassen, dieses eine Mal würde ich meinen Vater zwingen, mir zuzuhören, ob er wollte oder nicht.
    »Achte auf deinen Ton«, ermahnte er mich.
    »Ich wollte dir etwas sagen.«
    »Aha.«
    »Nichts Schlimmes.«
    »Aha.«
    »Ich weiß endlich, was ich werden will.«
    »Du hast doch einen Job als Fliesenleger.«
    »Ich habe im Lager gearbeitet und war dort Gabelstaplerfahrer … wie auch immer … ich arbeite dort schon lange nicht mehr.« Meine Güte, wusste denn keiner in dieser Familie, was ich machte? Ich stellte zwei Gläser Tee auf den Tisch.
    »Normalerweise schaue ich erst Nachrichten und dann trinke ich meinen Tee.«
    »Na, dann trinkst du heute eben erst deinen Tee und schaust danach Nachrichten.«
    »Das finde ich nicht gut. Alles hat seine Ordnung, aber davon verstehst du ja nichts.« Ich hatte keine Lust, weiter um den heißen Brei herumzureden.
    »Baba, ich will Rapper werden.«
    »Aha.« Baba beobachtete desinteressiert den Dampf, der aus dem Teeglas hochstieg. Ich fühlte mich nicht ernst genommen.
    »Ich werde RAPPER.«
    »Was ist das?«
    »Ein Musiker.«
    »Du kannst doch gar nicht singen.«
    »Das ist auch Sprechgesang, Texte aufsagen … es ist schwer zu erklären.«
    »Aha.«
    »Du kennst doch 2Pac?«
    »Was?«
    »2Pac.«
    »Was ist das?« Mein Vater rührte seinen zuckerlosen Tee. Er wirkte erstaunlich gelassen, er nahm mich immer noch nicht für voll. Ich musste schnell handeln.
    »Es ist die Teufelsmusik, die mein Gehirn weich macht.« Die Bombe war geplatzt. Baba nahm einen großen Schluck von seinem kochend heißen Tee und verbrannte sich damit vermutlich gerade die Kehle, doch er verzog keine Miene. Ich rückte mit meinem Stuhl ein wenig zurück, das Risiko, heißen Tee ins Gesicht geschüttet zu bekommen, stieg gerade ums Hundertfache an. Stille. Mit einer ruhigen Bewegung stellte mein Vater das Glas zurück auf den Tisch. Er lehnte sich nach hinten, öffnete den Mund und prustete los. Baba lachte. Er lachte sonst nie. Es klang nicht wie ein fröhliches, echtes, sondern wie ein gehässiges, aufgesetztes Lachen. Baba hörte nicht auf zu lachen, er lachte so

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