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Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
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ausreichen würde, man müsste ihm schon die alten stehlen, bevor er für so einen Schnickschnack Geld ausgeben würde. Das nahm Mama wortwörtlich, stibitzte seine schäbigen alten Treter und warf sie in den nächsten Müllcontainer. Jallah, jallah, dachte ich mir, das könnte ja heiter werden.
    Es war unmöglich, einen Mann wie Baba von so einer Idee zu überzeugen, er war der Erfinder des Realistisch-Bleibens. Für ihn zählten Prinzipien, nicht individuelle Wünsche, und der Wille, diesen Prinzipien gerecht zu werden, nicht das Wollen dahinter. Träume lenken unnötig ab, sie kreieren nur utopische Seifenblasen, kriechen in unseren Verstand und gaukeln uns so lange vor, Unmögliches möglich machen zu können, bis wir eines Tages aufwachen, die Taschen leer, die Schulden hoch, die Demütigung groß, und erkennen müssen, dass uns unsere Träume in die tiefsten Abgründe gestürzt hatten. Das waren Babas Worte.
    Ein unwohles Gefühl stellte sich in meiner Magengegend ein. Baba würde sagen, ich sei eine Schande, und vielleicht hatte er sogar recht. Ich hatte keinen festen Vertrag, kein festes Einkommen, bloß die Zusage eines Bastards, der jede Minute an einer Überdosis altem Pot sterben könnte. Das Einzige, was mir Mut machte, waren Miracs Geschichten, in denen Menschen mit nur einem Dollar nach New York kamen und zu Millionären wurden. Wenn das in Amerika möglich war, warum dann nicht hier? Andere lebten ihren American Dream und ich meinen German Dream.
    Wie ein Boxer auf einen Kampf bereitete ich mich auf das Gespräch vor. Ich stand früh auf, ging eine Runde laufen, um einen klaren Kopf zu kriegen und meine Gedanken richtig zu sortieren. Ich wusste, von dieser Entscheidung hing mein gesamter Plan ab. Sicher, ich konnte auch alleine gehen. Auf diese Weise hätte ich weniger Verantwortung übernehmen müssen und mich getrost auf meine Ziele konzentrieren können. Ich müsste mir keine Sorgen machen, das Leben von drei weiteren Menschen auf den Kopf gestellt zu haben. Vielleicht war es egoistisch, von meiner Familie zu erwarten, meinen Traum zu leben, denn wahrer Egoismus lag bekanntlich nicht darin, zu tun, was man tun wollte, sondern von anderen zu verlangen, dasselbe tun zu wollen. Doch ich musste alles auf eine Karte setzen, nur dann konnte ich hundert Prozent geben. Manchmal muss man erst alles verlieren, um alles zu gewinnen. Zudem war das Band zwischen meiner Mutter, Amani und mir sehr stark. Wir hatten uns so viele Jahre ein Zimmer, eine Matratze, eine Decke und ein Kopfkissen geteilt – ich kannte es gar nicht, etwas für mich alleine zu haben, und während andere sich nach Freiheit gesehnt hätten, brauchte ich die beiden um mich herum wie Sauerstoff.
    Ich kann mich noch erinnern, wie ich drei Jahre zuvor, nach einem Streit mit meinem Vater, den Entschluss gefasst hatte, auszuziehen. Wie der Zufall es so wollte, bekam ich eine freie Wohnung neben der Wohnung meiner Eltern. »Ach, du wirst es keine zwei Wochen ohne uns aushalten«, meinte meine Mutter schnippisch, doch ich packte meine Sachen und ging einen Hauseingang weiter. Anfangs fühlte ich mich frei und genoss die Ruhe. Je länger ich aber alleine war, desto einsamer und verlassener fühlte ich mich, und kurz darauf verbrachte ich wieder jeden Tag nebenan bei meinen Eltern. Meine Mutter kam auf die Idee, die Wohnungen zu vergrößern, indem man die Wand einriss. Ohne den Vermieter zu fragen, setzten wir das auch in die Tat um. Statt einer eigenen Wohnung hatte ich nun ein eigenes Zimmer und war damit mehr als zufrieden. So viel zu meinen ersten Versuchen, mir Freiraum zu verschaffen.
    Meine Mutter konnte ich keinesfalls zurücklassen, sie war nicht nur Verbündete im Kampf gegen meinen Vater und Ratgeberin in allen Lebensdingen – sie war meine beste Freundin. Ich stemmte Gewichte in meinem Zimmer. Zwar wollte ich nicht gegen Baba kämpfen – zumindest nicht körperlich –, aber mit besserer Fitness fühlte ich mich gewappneter für das folgende Gespräch. Ich zog mein einziges Hemd an und erkannte mich beim Blick in den Spiegel kaum selbst wieder. Ich trug nie Hemden, weder zu einem Date noch zur Arbeit. Vielleicht sollte ich einen Gang runterschalten, dachte ich mir. War das alles wirklich notwendig, um meinen Vater von meiner lebensmüden Idee zu überzeugen? Ja, es war nötig. Wer etwas Verrücktes als Geniales verkaufen wollte, musste zumindest seriös aussehen. Ich setzte mich an den Küchentisch und wartete ungeduldig, bis Baba

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