Massiv: Solange mein Herz schlägt
musste einen Beat für meinen Song finden. Er gab mir schließlich die Schlüssel vom Studio und ließ mich dort alleine zurück.
Drei Tage wühlte ich mich durch Dutzende verschiedene Beats und fand am Ende genau das, wonach ich gesucht hatte. Ich bestellte Woroc ins Studio.
»Ich will genau diesen Beat«, sagte ich und spielte ihn ab.
»Das geht nicht«, erwiderte Woroc sofort.
» Was? Wieso nicht?« Ich fühlte mich vor den Kopf gestoßen, er hatte mir gesagt, ich könne jeden Beat haben.
»Der ist alt und scheiße.«
»Ich finde ihn gut, dramatisch und kräftig, passt perfekt zum Ghettolied.«
»Nein, wirklich, da verliere ich mein Gesicht.« Das konnte doch nicht wahr sein, dieser Beat passte wie die Faust aufs Auge. Jedes Mal, wenn ich ihn anmachte, bekam ich eine Gänsehaut und wusste, nur mit diesem Beat würde ich durch die Decke gehen können. Erst nachdem ich drei geschlagene Stunden auf ihn eingeredet hatte, willigte er entnervt ein: »Weißt du was, nimm den scheiß Beat.« Ich war überglücklich. Es hatte sich wieder einmal ausgezahlt, hartnäckig zu bleiben und an meinen Forderungen festzuhalten. Jeder kleine Schritt, den ich vorankam, bestätigte mich in dem, was ich tat.
»Man muss kämpfen, nur wer kämpft, kann Großes leisten «, sagte meine Stimme. Eine Woche später nahm ich das Ghettolied mit genau diesem Beat auf, und zum allerersten Mal sah ich Woroc lächeln. Alles, was er sagte, war: » Der Song ist geboren.«
Zurück in Pirmasens wusste ich, dass es an der Zeit war, mich von meinem alten Leben zu verabschieden, denn nur wer Altes hinter sich lässt, kann neu beginnen. Erst da wurde mir bewusst, dass ich einen ganzen Monat lang nichts von Isabella gehört hatte. Über meine Pläne hatte ich das Mädchen, mit dem ich seit fast einem Jahrzehnt zusammen war, glatt vergessen. Die letzten sechs Monate war ich öfter in Berlin als in Pirmasens gewesen, und wir hatten uns kaum noch gesehen – was mich auch nicht sonderlich gestört hatte. Isabella belächelte meinen Berufswunsch, ließ mich aber ziehen, sie kannte mich und war sich im Klaren darüber, dass ich sowieso meinen eigenen Weg gehen würde. Ich konnte Isabella nicht nach Berlin mitnehmen, ich wollte sie nicht mitnehmen. Trotzdem schaffte ich es nicht, mich dazu durchzuringen, sie anzurufen und die Beziehung zu beenden. Drei Tage später klingelte mein Handy, und Isabellas Telefonnummer erschien auf dem Display.
Ich ging nicht ran. Was war schlimmer: dass wir einen Monat nicht miteinander gesprochen hatten oder dass ich das gar nicht gemerkt hatte? Ich hatte kein einziges Mal an sie gedacht. Ich musste mir eine gute Ausrede einfallen lassen. Halt mal, wo hatte sie eigentlich die letzten drei Wochen gesteckt? Sonst hatte sie mich regelmäßig angerufen. Dieses Mal hatte also sie Mist gebaut und nicht ich. Ich rief zurück und hoffte, dass sie eine gute Ausrede parat hatte.
»Hallo?« Ihre Mutter war am Apparat.
»Hallo, ist Isabella da?« Über mehr gingen die Gespräche zwischen ihrer Mutter und mir normalerweise nicht hinaus. Ihre Mutter hatte Isabellas Vater während eines Urlaubes in Rimini kennengelernt, und die Sommerromanze hatte Isabella hervorgebracht. Sie sah ihren Vater vielleicht zwei Mal im Jahr, trotzdem schwärmte sie in den höchsten Tönen von ihm. Er sei ein waschechter Italiener, ihre grünen Augen und das Temperament hätte sie auch von ihm geerbt, erzählte sie mir stolz.
Ihr Vater hatte ihr öfter angeboten, zu ihm nach Italien überzusiedeln, doch Isabella erzählte ihm von mir und ihrem Studium, sie hatte nicht vor, alles aufzugeben. Ihre Mutter ließ kein gutes Haar an ihrem Vater und meinte, er sei eben wie alle Italiener, nein, wie alle Südländer, ein treuloser Mistkerl.
»Ich habe dich angerufen«, sagte Isabellas Mutter mit zittriger Stimme.
»Ist ihr was passiert?«, fragte ich nervös. Selbst, wenn unsere Beziehung am Ende war, machte ich mir doch Sorgen um sie. Immerhin war sie Bella, ich kannte sie eine Ewigkeit, sie war so etwas wie eine Schwester.
»Ihr Vater hat sie mitgenommen.« Die Mutter fing an zu weinen.
Im Laufe des Gespräches erfuhr ich, dass Isabellas Vater sie überredet hatte, eine Woche Urlaub in Rimini zu machen. Isabella war gestresst von der Uni und, wie die Mutter hinzufügte, auch von mir, also gönnte sie sich eine Pause. Zwei Wochen später rief sie bei ihrer Mutter an und teilte ihr mit, nie wieder zurückzukommen. Studieren könne sie auch in Italien, wo es
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