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Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
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gutes Wetter und nette Menschen gab. Ihre Mutter fragte immer wieder, ob ihr Vater sie dazu überredet habe, doch Isabella beharrte darauf, dass es ihre eigene Entscheidung gewesen sei. Sie brauche einen Neuanfang. Und als ich das hörte, wurde mir bewusst, dass wir beide in derselben Situation steckten, ohne es voneinander gewusst zu haben. Darin lag das Problem, wenn man sich nichts mehr zu sagen hatte – man sprach nicht miteinander.
    »Ich bin mir sicher, dass ihr Vater dahintersteckt«, schniefte die Mutter in den Hörer.
    »Nein, Isabella würde sich nie zu etwas überreden lassen. Sie hat ihren eigenen Kopf. Vielleicht ist es auch das Beste für sie.« Ich versuchte sie zu beruhigen, stieß dabei aber auf Granit.
    » Jaja, du bist doch bloß froh, jetzt kannst du ungestört weitermachen.«
    »Weitermachen womit?«, wunderte ich mich.
    »Mit dem Löcher stopfen – ihr Südländer seid doch alle gleich!« Sie legte auf. Wahrscheinlich hatte sie gehofft, ich würde Bella zurückholen wollen, doch das hatte ich nicht vor. Ein Neuanfang war für uns beide das Richtige. Manchmal war die einzige gute Eigenschaft vertrauter Umstände, dass sie eben vertraut waren, denn in einer vertrauten Umgebung mit vertrauten Menschen fühlte man sich sicher. Menschen blieben lieber bei dem, was sie kannten, weil die Angst vor dem Ungewissen stärker als der Wunsch nach einem besseren Leben war. Beziehungen verwandelten sich in langatmige quälende Prozesse, aus Furcht etwas zu verlieren, von dem man nicht genau wusste, was es war. Mein Entschluss, alles zu verändern, bedeutete auch, mich von Dingen zu trennen, die keinen Sinn ergaben, und dazu gehörte eine Beziehung, die ich nur noch wie einen dunklen Schatten mit mir herumtrug.
6.  Überredungskünste
    Der letzte Schritt würde der schwerste sein – da war ich mir sicher. Ich musste es schaffen, meinen Vater zu überzeugen. Über die Reaktion meiner Mutter machte ich mir wenig Sorgen, denn auch wenn sie gegen meine Pläne war, würde sie ihre Sachen packen und mitkommen. Mama war wie ein leichtes Blatt, ihr Weg passte sich der Windrichtung an. Bevor der Anruf von MC Basstard kam, hatte ich ihr gegenüber schon angedeutet, dass es womöglich nötig sein würde, in eine andere Stadt überzusiedeln. Mama strich mir über den Kopf, sagte inschallah und hakte das Thema erst mal ab. Für sie war ich ein Kleinkind im Körper eines Erwachsenen. Sie würde mit mir gehen, schon aus Sorge daraus, ein Kleinkind wie ich wäre in einer großen Stadt wie Berlin völlig verloren. Mit Baba würde es sich schon schwieriger gestalten. Wie sollte ich ihm beibringen, dass ich Rapper werden wollte? Er kannte nicht einmal die Bedeutung dieser Bezeichnung und pöbelte ständig über MTV, weil solche Sendungen Jugendliche auf die schiefe Bahn bringen und feste Gehirne in weiche Schwämme verwandeln würden.
    Baba hatte mir früher verboten, Rap-Musik zu hören. Einmal stürmte er beim Klang von 2Pacs Stimme in mein Zimmer, schlug so lange auf meinen CD-Player drauf, bis der nur noch gebrochene Töne ausspuckte, und brüllte, bei so einer Musik sei es kein Wunder, dass ich auf die schiefe Bahn geraten sei. Ein anderes Mal zerschlug er fünfzig meiner CDs mit einem Hammer und drohte, dasselbe mit meinem verweichlichten Gehirn zu machen, wenn ich weiterhin diese Teufelsmusik hören sollte. Baba meinte, unsere Generation sei verdammt, weil wir Beleidigungen und Flüche Musik nannten. Früher gab es noch anständige Musik, von echten Sängern, wie Abdel Halim Hafez, der ägyptischen Legende, früher gab es noch Gesang, Melodie und Rhythmus. Früher gab es noch echte Männer, die sich nicht tätowieren, Muskeln antrainieren und Teufelsmusik hören mussten, um wie Männer zu wirken. Echte Männer hatten so einen Schwachsinn nicht nötig. So viel zum Thema Baba und Hiphop.
    Wie also brachte man einem fünfzigjährigen Zyniker, der seit Jahrzenten jeden Tag dasselbe zum Frühstück aß, dieselbe Arbeit verrichtete, dieselben Dinge sagte, bei, alles auf den Kopf zu stellen, weil sein Sohn Rapper werden wollte? Baba sollte seinen Job, für den er drei Tage auf einer Parkbank geschlafen hatte, und dieses sichere Leben in dieser beschaulichen Stadt, für ein unbekanntes Abenteuer in einer unbekannten Stadt aufgeben? Für Baba war schon ein Schuhkauf ein Abenteuer, zu dem zu überreden Mama manchmal Wochen brauchte. Baba maulte, er brauche keine neuen Schuhe, er hätte doch ein Paar, das vollkommen

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