Mata Hari
Diese letzten Worte sind richtig. Es ist allgemein bekannt, daß die Deutschen sich in Barcelona des Hauptmanns Estève von der französischen Kolonialarmee bedienten und ihm nur dreihundert Peseten monatlich bewilligten.
Wie dem auch sei, scheint es glaublich, daß Mata Hari sich während des Krieges für sechzigtausend Mark verkauft haben sollte, wenn sie in ihren Briefen vom Anfang des Jahres 1914 ganz deutlich die Absicht ausspricht, sich neue höchst wertvolle und teure Möbel zur Verschönerung ihres eigenen Hauses in Neuilly zu kaufen und einem Pariser Museum ein sehr kostbares Service aus altem Porzellan zum Geschenk anzubieten? Als Antwort auf solche Fragen zieht Massard, der in seiner frommen Ehrfurcht vor der entschiedenen Sache nicht den geringsten Zweifel an der Schuld der Tänzerin aufkommen läßt, eine geheimnisvolle Triebfeder heran. Er behauptet, schrecklich kindliche Beweggründe eines verletzten Stolzes hätten die Angeklagte zum Verbrechen geführt. »Vielleicht richtet der Stolz sie zugrunde«, sagt er wörtlich. »Die Künstlerin fand, daß die Franzosen sie nicht nach ihrem richtigen Werte schätzten. Der Ruf Isadora Duncans erregte ihre Eifersucht. Die Deutschen dagegen schmeichelten ihr und vergötterten sie. Daher ihre große Vorliebe für die Germanen, die vieles erklärt.« Offen gesagt, mir erscheinen diese psychologischen Erklärungen Massards bei weitem nicht so klar wie ihm selbst. Als Künstlerin scheint Mata Hari tatsächlich mehr Eitelkeit als Stolz besessen zu haben. Ihre Briefe beweisen das; man findet darin nicht die Begeisterung, die eine Isadora Duncan schwärmen läßt, wenn sie das göttliche Geheimnis ihrer Kunst auseinandersetzt; man findet darin auch nicht das heitere olympische Vertrauen, das die Geständnisse der Loïe Fuller durchzieht und über die man bisweilen wohl spötteln, denen man aber schließlich die Achtung nicht versagen kann. Nein, für unsere exotische Tänzerin ist die Kunst zunächst die Rettungsbrücke, die zur Befreiung aus dem ehelichen Joch hinüberleitet, und dann nie etwas anderes als ein Mittel, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, sich im Glanz ihrer Schönheit zu zeigen, schließlich, die Männer zu verführen. Einem Freunde, der lange vor dem Kriege sie fragte, warum sie sich von der Kunst zurückgezogen, antwortete sie: »O, ich bin durchaus gerüstet, von neuem zu tanzen und auf mein leichtes Leben zu verzichten, um wieder die Hoffnungen, die der Ruhm notwendigerweise anstachelt, zu schlürfen, aber ich möchte wenigstens, sozusagen urheberrechtlich geschützt sein und könnte nicht dulden, daß andere meine Ideen ausplündern.« Einem Komponisten, der ihr einen buddhistischen Tanz vorschlägt, schreibt sie: »Ein Hindutempel mit der Göttin, das gefällt mir. Vor einem ähnlichen Hintergrunde begann ich im Museum der Religionen zu tanzen; meine Porträts hängen noch dort. Andere haben das nachgeahmt. Freilich kann mir das Vorrecht meiner Erfindung niemand rauben. Sie ist die einzige Art, den geweihten Tänzen einen wirklich entsprechenden Rahmen zu geben. Der Tempel kann so chimärisch sein, wie man will, denn ich, ich bin es ja auch.« Weiter sagt sie, als sie ein Ballett bestellt, wie man ein Kleid bestellt, dem Musiker, der die Musik schreiben soll: »
Die geweihte Blume
soll die Legende einer Göttin sein, die die Macht hat, sich in einer der Blumen zu verkörpern, wie sie auf ihrem Altar als Opfergaben verbrannt werden. Der Prinz betritt das Heiligtum; er hält Orchideen in der Hand; er verbrennt sie; und aus dem Rauch löst sich die Göttin und tanzt. Ich muß die Orchidee sein, ganz aus Gold und Diamanten. Ich weiß, wie ich das machen muß. Paul braucht mir nur ein Zeichen zu geben, wenn er mich braucht: ich werde bereit sein. Ich möchte, daß er mir die Partitur widmet.
Das fließende Wasser
soll das Vorspiel bilden, denn der Tempel liegt in einem Walde neben einem Wasserfall.« Ihre künstlerischen Einfälle sind alle von dieser Art: ungenau und kindlich, aber immer mit szenischen Möglichkeiten, die ihr erlauben, sich gleichsam nackt zu zeigen unter Schmuck, Gold, rhythmischen Linien und transparenten Hilfsmitteln. Die Furcht, sie könnte den religiösen Exotismus falsch auslegen, hemmt sie nicht im geringsten bei der Ausarbeitung ihrer Pläne. Ihre Gelehrsamkeit ist unklar und ihre Kenntnis der Götterlehre reichlich dunkel. Man sieht, daß sie alles, was sie weiß, aus höchst bunter Lektüre gelernt hat mit der einzigen
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