Mata Hari
Selbst Caroline Otero, die bis dahin allen nach dem Erbe ihres Szepters begierig Haschenden sich weit überlegen fühlte, sah, daß diese neue Herrscherin im Begriff war, sich Gebiete zu erobern, die weiter reichten, als die ihrigen. Und Mata Hari begnügte sich nicht wie Liane de Pougy, Emilienne d'Alençon, Rosario Guerrero, Odette Valery über einer Gruppe von Nachtschwärmern zu thronen, worin man Künstler und Bankiers, Aristokraten und Söhne vermögender Väter, aber kaum jemals eine Persönlichkeit von wirklicher innerer Bedeutung bemerkte. Mata Hari wollte höher hinaus und sie wußte, daß es ihr gelingen würde. Mata Haris Galane mußten Minister, Prinzen, Botschafter, Generale, Akademiker sein: Was sage ich? In ihrem orientalischen Boudoir zwischen einer Tanagrafigur und einem Buddha aus antiker Bronze standen in reichen Filigranrahmen die Photographien zweier Monarchen. Mit ihren Widmungen bekennen sie sich als enthusiastische Bewunderer der großen Künstlerin.
Zwei Souveräne, jawohl: der eine starb vor ihr; der andere, ritterlich und edelmütig, bat persönlich den Präsidenten Poincaré um ihre Begnadigung. Und hier frage ich mich, ob jemand, mit diesem königlichen Schritt und seiner Erfolglosigkeit bekannt, noch zweifeln könne, daß die Tänzerin schuldig gewesen sei? Denn daß der Chef des französischen Staates der Bitte des Monarchen eines befreundeten Landes nicht willfahren zu können glaubte, ist der deutlichste Beweis für seine ganz feste Überzeugung, Mata Haris Verbrechen gehörten zu den unverzeihlichen.
– Jawohl, aber sie bleiben unerklärlich, diese Verbrechen – so höre ich meinen guten Freund Junoy murmeln.
Endnote: Der spanische Senator Junoy, einer der besten Freunde Mata Haris, hat immer an ihre Unschuld geglaubt. »Sie werden sehen«, sagte er mir vor etwa vier oder fünf Jahren (1920), »Sie werden sehen, Frankreich, das einzige Land mit einem nationalen Gewissen, wird schließlich die Revision des Mata Hari-Prozesses fordern, wie es das auch im Fall Dreyfus getan hat.« Damals konnte ich über diese Worte nur lächeln, weil ich fühlte, daß der größte Teil der Franzosen von der Schuld Mata Haris überzeugt sei Jetzt frage ich mich aber, ob Junoy nicht doch ein wirklicher Prophet gewesen ist, als er so zu mir sprach. Tatsächlich bringt das Pétit Journal, also eine der verbreitetsten Zeitungen in Paris, unter dem 16. Juli 1925 einen von Marcel Nadaud und André Fage unterzeichneten Artikel, worin ich folgende Zeilen finde:
»Memoirenschreiber und Publizisten, wie z. B. Mas_sard in seiner Broschüre ›Les Espionnes à Paris‹, glaubten, durch Dokumente den sicheren Beweis für ihre Schuld belegen zu können. Für jeden unparteiischen Forscher jedoch bleibt diese Frage offen.
In den Augen sehr vieler eine unheilvolle Spionin, darf man jedoch nicht vergessen und übersehen, daß sie bei Lebzeiten hartnäckige Verteidiger hatte, und das waren Leute von höchster Bildung und Verstand. Heute ist sie nur noch eine Erinnerung, nachdem ihr Leib den Studenten der Medizin als wissenschaftliches Objekt auf den Anatomietisch gelegt wurde. Aber ihr Gedächtnis ist noch lebendig in vielen treuen Freundschaften.
»Selbstverständlich kämpfte die Verteidigung tapfer für einen guten Ausgang.«
Nach der warmen Verteidigungsrede Clunets schien es einen Augenblick lang als wäre die Tänzerin tatsächlich wenigstens von dem Hauptanklagepunkt entlastet. Aber dem war nicht so. Und da sieben Offiziere sie verurteilt haben, müßten wir uns eigentlich ohne Vorbehalt diesem Soldaten-Wahrspruch beugen.
»Leider befällt uns jedoch ein arges Mißtrauen gegen die Atmosphäre, worin die Verhandlungen geführt wurden. Wenn der Feind so dicht vor der Hauptstadt steht, wenn die Spionage unumschränkt herrscht, wenn man, um nicht als Miesmacher zu erscheinen, seinen Kopf sogar dem einfachsten kritischen Verständnis verschließt, ist man wohl berechtigt, sich zu fragen, ob der Gerichtshof seine völlige Unabhängigkeit und unentbehrliche Erhabenheit hat wahren können.
Wieviel Urteile des Kriegsgerichts mußten seitdem verworfen werden! Wie Viele mußten für unschuldig erklärt werden, nachdem man sie der scheußlichsten Verbrechen beschuldigt hatte: Fahnenflucht, Verrat, im Stich lassen des Wachtpostens, Spionage.
Gewiß, man kann niemand geradezu anklagen. Der Krieg allein ist der Schuldige. Er führte bisweilen das Schwert der Gerechtigkeit mit unbesonnener Eile in Dunkelheit.
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