Mata Hari
aus Furcht dem Hauptmann Ledoux angeboten hat. Oberst Semprou selbst sagt ausdrücklich, daß sich die Tänzerin, beunruhigt durch den Verdacht der Pariser Polizei in den Generalstab als das einzige für ihre Rettung geeignete Asyl geflüchtet habe. Einmal angeworben, erbittet sie nichts anderes als eine Mission, die ihr erlaubt, Frankreich zu verlassen. Man gibt sie ihr; und nachdem sie ein paar Wochen in London verbracht, reist sie nach Madrid. Was macht sie dort? Momay antwortet: »Spionage!« Gut; lassen wir diese Ansicht der Anklage gelten. Wie aber soll man es sich erklären, daß die Unglückselige nach kurzem Aufenthalt in Madrid daran denkt, nach Paris zurückzukehren? Ja, wenn es sich um jemand handelte, der nicht wüßte, was er tut, der unfähig wäre zu denken, der keinen Verstand besäße, dann könnte man allenfalls annehmen, sie hätte, von einem hinterlistigen französischen Polizeiagenten etwa ins Garn gelockt, sich entschlossen, die Grenze zu überschreiten, im Glauben, sie würde über die Hinrichtung in Brüssel schon leicht eine Ausrede finden. Aber, im Gegenteil, es ist erwiesen, daß sie trotz den Warnungen von aller Welt nach Paris zurückkehrt, ganz allein, mit ihrem richtigen Paß.
Ich zitiere jetzt einen Brief, der sich mit diesen Dingen beschäftigt. Herr de With, der holländische Konsul in Nizza, während der letzten Kriegsjahre in einem wichtigen Amt bei der Gesandtschaft seines Landes in Madrid tätig, hat ihn soeben an mich gerichtet:
Lieber Herr Gomez Carrillo!
Ich danke Ihnen tausendmal für Ihre freundlichen Zeilen. – Über Mata Hari kann ich Ihnen leider keine aufsehenerregenden Neuigkeiten mitteilen. Zum erstenmal sah ich sie 1915 in Amsterdam, wohin ich zum Heeresdienst einberufen worden war. Wir wohnten im selben Hotel (Hotel Victoria); man konnte sie dort oft in Gesellschaft von Deutschen sehen. Erst Ende 1916 oder Anfang 1917, als ich wieder auf meinem Posten in Madrid war, lernte ich sie persönlich kennen. Ich erzähle Ihnen wie: sie schrieb mir, sie möchte mich sehen, sie hätte eine Bitte an mich zu richten. Ich besuchte sie also im Ritzhotel. Es handelte sich einfach um Gelder, die sie sich von einer Pariser Bank, wo sie, nach ihren Angaben, deponiert wären, nach Madrid schicken lassen wollte. Ich riet ihr, zunächst dorthin zu schreiben und fügte hinzu, ich würde für den Fall, daß sie Schwierigkeiten haben sollte, gern die Intervention meines Chefs, des Gesandten der Niederlande, für sie erbitten. In der Folge sprach sie nicht mehr über diese Angelegenheit, bat auch nicht um die Intervention der Gesandtschaft. Wie viele Frauen, die um eine Gefälligkeit bitten, geriet auch sie bei dieser Gelegenheit ins Plaudern und erzählte mir ihre ganze Lebensgeschichte. Sie wäre angeblich rein holländischer Abstammung, Tochter eines Bürgermeisters von Franeker, namens Zelle; mit sechzehn Jahren, also sehr jung, hätte sie Herrn Mac Leod, schottischen Ursprungs, Offizier in der Kolonialarmee von Niederländisch-Indien, geheiratet. Sie ging mit ihm nach Java, wo sie unglücklich wurde, denn ihr Gatte behandelte sie sehr schlecht. Bei einer Reise durch Europa verließ sie ihren Gatten und ging nach Paris; da sie kein Geld hatte, wollte sie ihr Leben mit Modellstehen fristen. Sie war aber sehr nervös und konnte niemals ruhig bleiben. Und so sagte auch eines schönen Tages ein Maler zu ihr, das ginge so nicht weiter, sie tanze ja geradezu auf ihrem Sessel. Da erinnerte sie sich der Tänze, die sie von den Eingeborenen auf Sumatra gesehen, und ahmte sie so vortrefflich nach, daß der Maler ihr riet, sich ein Engagement in einem Varieté zu suchen. Die großen Pariser Etablissements hätten ihr dann auch sehr bald märchenhafte Bedingungen angeboten. Sie wählte den Namen Mata Hari, weil diese Worte so viel bedeuten wie: Sonne Auroras. Zu jener Zeit war sie eine Schönheit.
Etwas anderes wird Sie vielleicht mehr interessieren als das Voraufgegangene. Nach Madrid kam sie erst nach einem kürzeren oder längeren Aufenthalt in Barcelona, wo man sie, wie mir ein Katalonier sagte, den »Geschäftsführer« nannte. Weshalb, weiß ich nicht; aber dieser Spitzname gab mir um so mehr zu denken, als sie in Spanien keine vertragliche Verpflichtung als Tänzerin zu erfüllen hatte ... Vor ihrer Rückkehr nach Paris bald darauf bat sie mich um einen Passierschein oder eine Empfehlung an die französischen Grenzbehörden. Sie bekundete eine lebhafte Unruhe bei dem Gedanken, daß sie
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