Mata Hari
die Pyrenäen zu überschreiten habe. Ich erwiderte ihr, sie müßte diese Empfehlung von meinem Chef erbitten, denn ich wäre zur Ausfertigung solcher Dokumente nicht berechtigt und fügte hinzu, jemand mit einem ruhigen Gewissen hätte nichts zu fürchten; außerdem könnte sie bei etwaigen Schwierigkeiten an die Gesandtschaft telegraphieren. Und zum Schluß betonte ich nachdrücklichst: für jemand, der nicht ein ganz, ganz ruhiges Gewissen hätte, wäre es in diesem Augenblick besser, sich nicht über die Grenze zu wagen, auch nicht unter dem Schutz einer Empfehlung. Sie machte ein böses Gesicht und zeigte sich über diese Warnung sehr ungnädig, was meinen Zweifel an ihrer Unschuld nur noch bestärkte. Aber sie reiste ab.
Ein paar Monate später war ich keineswegs überrascht, trotzdem sie immer von den »sales Boches« gesprochen und sich sehr frankophil (natürlich ohne verdächtige Übertreibungen) gezeigt hatte, als ich hörte, sie wäre nach strengster Überwachung durch die Pariser Polizei in einem großen Hotel zur Teestunde verhaftet worden. Der Militärattaché bei der französischen Botschaft in Spanien sagte mir eines Tages in San Sebastian, Mata Hari hätte der französischen Armee mehr als eine Division gekostet.
Auf der niederländischen Gesandtschaft in Paris übrigens sagte man mir, im Verlauf ihres Prozesses wäre von ihrer Seite nie ein Wunsch nach Protektion hervorragender Persönlichkeiten ihres Landes laut geworden.
Stets Ihr ergebenster
G. de With.
Dieses Dokument, auf den ersten Blick ein heller Strahl in das düstere Geheimnis von Mata Haris Schuld, kann im Gegenteil nur dazu beitragen, es noch mehr zu verdunkeln. Kann man annehmen, daß eine intelligente Frau, jedenfalls eine Frau, die nicht verrückt ist, mit Gewalt in die Mausefalle rennt, wenn alle ihre Bekannten, einschließlich die offiziellen Vertreter ihres Landes, sie von dem Verdacht, der auf ihr lastet, rechtzeitig benachrichtigen? Sie hat, könnte man vielleicht sagen, den Worten des holländischen Diplomaten nur eine ganz nebensächliche Bedeutung beigelegt und sie als einen Rat genommen, der allen um einen Paß Bemühten mit auf den Weg gegeben wird. Gut. Aber man beachte, daß ein Madrider Journalist, Ezequiel Endriz, bereits im Liberal unter dem Titel: Die Dame im Hermelin, eine ganze Artikelreihe veröffentlicht hatte, worin er die Beziehungen zwischen dem Chef der deutschen Spione in Madrid und der im Ritzhotel abgestiegenen Tänzerin streift. Es könnte ja nun noch möglich sein, diese Artikel wären ihr gar nicht zu Gesicht gekommen, so weit will ich gehen, aber ...
Seltsam jedenfalls, daß weder Mata Hari noch ihr Verteidiger diese Rückkehr nach Paris als einen Indizienbeweis für ihre Unschuld vorbringen. An Clunets Stelle in diesem erschütternden Fall hätte höchstwahrscheinlich mein Gewissen mich gezwungen, den Mitgliedern des Kriegsgerichts folgendes zu sagen: »Beachten Sie wohl, meine Herren, daß diese Frau im Augenblick, wo sie nach Frankreich zurückkehrt, nicht in Unkenntnis ist über den Verdacht, der auf ihr lastet; wenn dieser Verdacht nicht grundlos gewesen wäre, wenn sie nicht ein ruhiges Gewissen gehabt, nicht geglaubt hätte, genügend Beweise ihrer Freundschaft für unser Land gegeben, brennend unseren Sieg gewünscht zu haben, den Sieg der Armee, worin der einzige Mann, den sie geliebt und für den sie sich aufgeopfert hat, kämpfte, was wäre ihr leichter gefallen, als auf die weisen Ratschläge zu hören? Meine Herren, erinnern Sie sich bitte daran, was Victor Hugo gesagt hat: »Wollte man mich anklagen, die Türme von Notre-Dame gestohlen zu haben, ohne geneigt zu sein, mir das klipp und klar zu beweisen, würde ich vor der Polizei schleunigst Reißaus nehmen.« Mata Hari, eines ähnlich phantastischen Verbrechens angeklagt, glaubte am besten zu handeln, wenn sie, anstatt das Weite zu suchen, an den Ort der Gefahr eilte, um so ihre Unschuld zu beweisen.« Aber der berühmte Advokat, der die schrecklich ernste Ehre dieser Verteidigung auf sich lud, zieht es vor, sein ganzes Vertrauen in die Wichtigkeit der Zeugenaussagen zu setzen, die für die Bajadere günstig ausfallen mußten. Minister und Gesandte ziehen in langer Reihe an der Schranke vorüber, um die Unschuld dieser Frau zu beglaubigen; überdies ist es für niemand ein Geheimnis, daß dieser große Jurist, strenger Schiedsrichter in Streitfällen zwischen den Nationen und unbestrittener Meister des Advokatenstandes wie so viele
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