Matharis Kinder (German Edition)
Schulterzucken. Er hatte sich bereits abgewandt und machte sich an den Rucksäcken zu schaffen.
DREI
In Janaels Herz breitete sich eine schon vergessen ge glaubte Wärme aus. Er war wieder zu Hause! In den geliebten lopunischen Wäldern! Dieser unvergleichliche Duft von Harz, Moos und kühlem Schatten! Nichts Tröstlicheres gab es als dieses sanfte, kraftvolle Reich! Unbesiegt hatte es der hundertjährigen Schreckensherrschaft widerstanden, war sichere Heimat geblieben für seine ungezählten Bewohner, hatte Zuflucht geboten für die Verfolgten.
In dreißig Jahren hatte sich nicht viel verändert. Das war beglückend und erschreckend zugleich. Schon damals hatte die Schwarze Mauer die Grenze ab gesperrt. Nur weiter nördlich, wo sich das Kari-Gebirge zu seinen höchsten und steilsten Gipfeln aufwarf, gab es keine Mauer. Dort konnte und musste keine Absperrung gebaut werden. Vor dem als unpassierbar geltenden Bergmassiv dehnten sich die größten Sümpfe des Kontinents aus. Niemand, der auch nur halbwegs bei klarem Verstand war, würde diesen Weg in die Freiheit wählen. Nur welcher Flüchtling war schon bei klarem Verstand…
Auch Janael würde nach Erfüllung des Auftrages mit seinen beiden Gefährten durch die Sümpfe wandern, um dann über den Kari-Pass nach Peona zurückzukehren. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Die hatte es auch vor dreißig Jahren nicht gegeben. Damals war er allein gewesen ... Die Gedanken des alten Lopuniers wanderten in eine Richtung, die seine Beine schwer und sein Herz eng werden ließen. Nein, daran wollte er jetzt nicht denken. Jetzt musste er seine Gefährten sicher durch dieses Land führen, musste dafür sorgen, dass der Auftrag erfüllt wurde.
Janael wusste, dass er sich ohne Schwierigkeit in seiner Heimat zurechtfinden würde. In jedem Winkel des Landes war er gewesen. Jede Faser seines Körpers hatte die Erinnerungen an diese Wege be wahrt. Nicht einen Augenblick musste er sich überlegen, welche Richtung nun einzuschlagen war.
In etwa zwei Stunden würden sie einen kleinen Bach erreichen. Dessen munteres Geplätscher würde sie an die Stelle seiner Geburt führen, wo er, aus einer Felsspalte hervor spru delnd, das Erdinnere verließ. Es war eine von zwölf Quellen. Eingebettet in schmalen, steinigen Gräben strebten sie dem Tal entgegen. Wie spielende Kinder schlossen sie sich zusammen, zogen weiter landeinwärts, sammelten immer neue Geschwister ein, bis aus ihnen Lopuniens größter Strom, der Percho wurde. Als unversiegbare Lebensader durchzog der Fluss ausgedehnte Auenwälder, floss an Städten und Dörfern vorbei, dem Meer entgegen.
Im Gegensatz zu den Sümpfen und den Bergen war das riesige Percho-Delta kein Hindernis für den Bau der Mauer. Nach etlichen Jahren waren die vielen, sich verzweigenden Arme des Flusses in einen einzigen, von einer Festung überdachten Kanal hineingezwungen worden.
In den Jahrzehnten des Mauerbaues ließ man sogar die Blumenhüter am Leben. Wie alle übrigen Gefangenen schufteten sie sich unter den Peitschenhieben der Aufseher den letzten Blutstropfen aus dem Leib.
Die ungestüme Kraft des Percho ließ sich jedoch nie vollständig zähmen. Jedes Jahr zur Schneeschmelze schwoll der Fluss an. Zwar vermochten die Auenwälder sein schmutzig braunes, schäumendes Wasser weitgehend zu besänftigen. Dennoch barsten jedes Frühjahr mehrere Teile der Festung unter den anstürmenden Wassermassen.
Seit Janael sich erinnern konnte, war die Mauer da gewesen.
Immer wieder war er dem schwarzen Ungeheuer begegnet. Erst als kleines Kind an der Hand der Mutter. Später als Knabe. Schließlich als Anführer. Sein ganzes Leben lang war er auf der Flucht. Seine Heimat hatte keinen sicheren Platz gehabt für ihn. Bis er zum letzten Mal geflohen war.
Beinahe die Hälfte seines Lebens hatte er in einem fremden La nd verbracht. Nun schmolzen die Jahre mit jedem Schritt dahin, verblassten zu traumhafter Erinnerung.
Janaels noch immer feine Ohren meldeten ein fernes Plätschern. Der nächste Zielpunkt war nahe. In zwei Stunden würden die drei Blumenhüter die Quelle erreicht haben.
Es blieb sogar noch Zeit für eine kleine Pause, in der sie ausruhen und sich ein kleines Mahl gönnen konnten.
Die Beschaffung dieses Mahles übernahm Pariko. Torians Aufgabe bestand darin, Holz zu sammeln und Feuer zu machen.
Wieder einmal bewies Pariko, was für ein erstklassiger Jäger er war. Bald brutzelte ein gehäutetes Kaninchen
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