Matharis Kinder (German Edition)
über knisternden Flammen. Der Duft trieb den hungrigen Reisenden beinahe die Tränen in die Augen.
Nachdem alle satt waren, ließ sich Janael zurücksinken und stützte sich auf die Ellbogen. Er legte den Kopf in den Nacken.
„Ich weiß nicht, was sich in den vergangenen Jahren hier alles verändert hat. Nicht viel, fürchte ich, und wenn, dann nicht zum Besseren.“ Es sah aus, als spräche er zu den Baumkronen über sich. Bei den nächsten Worten richtete er sich auf. „Von nun an werden wir uns nur noch nachts und wenn möglich in den Wäldern bewegen. Das gilt natürlich nicht für dich, mein Freund“, wandte er sich an Pariko, „deine heutige Darbietung hat mir gezeigt, dass du dich jederzeit auf unseren Straßen und sogar in den Dörfern sehen lassen kannst. Darüber werden wir oft genug froh sein. Damals waren die Jäger überall. Wenn uns die Wandler nicht frühzeitig gewarnt hätten, gäbe es in Lopunien wohl schon lange keine Blumenhüter mehr. Es wird nicht leicht sein, unsere Brüder und Schwestern zu finden. Seit der Schwarze König an der Macht ist, sind die lopunischen Blumenhüter nie mehr sesshaft gewesen.“
„ Wir müssen also jemand fragen”, überlegte Torian, „aber dazu müssten wir erst jemanden finden, dem wir vertrauen können, nicht wahr?”
Janael lächelte. „Keine Sorge. Es gibt einen Ort, wo wir sowohl f ragen als auch vertrauen können: unser nächstes Ziel. Danach wissen wir mehr. Doch nun wollen wir uns ausruhen. Schlaft und schöpft neue Kräfte. Ich werde euch wecken, wenn es Zeit ist.“
Er ließ sich zurücksinken, faltete die Hände über dem Bauch und schloss die Augen. Er war mit sich zufrieden. Noch immer konnte er Marschtempo und Entfernungen richtig einschätzen, konnte die notwendigen Pausen einberechnen.
Vor dreißig Jahren war es überlebenswichtig gewesen, zur richtigen Zeit die richtigen Orte zu erreichen – oder zur richtigen Zeit die falschen Orte zu meiden. Damals hatten viele Menschenleben von seinen Entscheidungen abgehangen. Jetzt ging es um das Überleben eines ganzen Landes: Peona, das Land, das ihn nach seiner Flucht aufgenommen hatte. Dorthin würde er zurückkehren, wenn die Mission erfüllt war. Der Gedanke trug ein dunkles, schweres Gewand.
Seit Janaels Füße den Heimatboden betreten hatten, wuchs ein seltsamer Widerstreit in ihm. Seine Sinne tranken Düfte und Laute, seine Seele flüsterte von Heimkehr. Gleichzeitig krochen Bilder von Blut und Tod aus den Höhlen seiner Erinnerun gen. Die Bilder konnte er verscheuchen, seiner Seele jedoch nicht das Schweigen befehlen. Ihr Flüstern stahl sich in seinen Schlaf.
Wenige Stunden nach Mitternacht verließen die drei Blumenhüter den Wald. Dank ihrer nachtsichtigen Augen und dem Licht der beinahe vollen Mondin hatten sie ihren Weg durch das Dickicht problemlos gefunden. Als wollte sie die nun schutzlosen Wanderer nicht durch ihr Leuchten gefährden, hatte sich die silberne Himmelshüterin vor wenigen Minuten hinter die Berge zurückgezogen.
Im Tal unter ihnen brannte kein einziges Licht. Eingehüllt in dunkle Schatten träumte die kleine, vor langer Zeit dem Wald für Ackerbau abgerungene Senke vor sich hin.
Das nächste Wegstück war gefährlich. Jäger, die sich ganz still verhielten, konnten auch die feinen Ohren der Blumenhüter nicht rechtzeitig ausmachen.
Ein lautlos auftauchender Schatten an seiner Seite ließ Janael herumfahren. Neben ihm stand ein ärmlich gekleideter, weißhaariger Bauer.
Woher kam der Mann so plötzlich? Natürlich! Das konnte nur der Wandler sein! Die Veränderung war diesmal nicht so erschreckend, wie jene vor der lopunischen Grenze. Zwischen Pariko und einem lopunischen Bauern gab es keinen allzu großen Unterschied, außer dass dieser Bauer etwa zwanzig Jahre älter und mindestens ebenso viele Pfund schwerer war.
„Sei vorsichtig“, warnte Janael seinen Gefährten, bevor dieser sich auf den Weg ins Tal machte.
Der Bauer blickte kurz zurück. „Warum denn? Man wird doch wohl noch ein paar entlaufene Hühner suchen dürfen, nachdem der Fuchs den Stall aufgebrochen hat.“
Mit schweren Schritten stapfte er davon.
Janael nickte. Ein Bauer auf der Suche nach seinen Hühnern - ja, das war gut.
Schon als Kind lernte ein Blumenhüter die ver schiedensten Tierstimmen nachzuahmen. Es war eine eigene Sprache. Sie bediente sich der Laute von Füchsen, Eulen, Rehen und vieler anderer Waldbewohner. Selbst ein erfahrener Förster konnte den Unterschied
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