Matharis Kinder (German Edition)
zwischen menschlicher und tierischer Stimme nicht hören. Vorausgesetzt, er war selbst kein Blumenhüter.
Pariko würde sich melden, wenn die Luft da unten rein war.
Er war wirklich ein bemerkenswerter Geselle, der schweigsame Pariko.
Ohne Behelligung erreichten die drei Reisenden den Wald auf der anderen Seite des Tales. Noch einmal ordnete Janael eine Schlafpause an.
Torian war zu müde, um gleich einzuschlafen. Auf dem Rücken liegend starrte er in das schwarze Blätterdach über sich und lauschte in die Dunkelheit.
Nachdem die drei Eindringlinge zur Ruhe gekommen waren, erwachte der nächtliche Wald wieder zur gewohnten Geschäftigkeit. Mäuse huschten über den Boden. Das Knacken trockener Zweige zeugte von der Wanderung eines größeren Tieres. In den Baumkronen ertönte der Ruf eines gefiederten Jägers. Gleich darauf vernahm Torian das nur für Blumenhüterohren hörbare Gleiten von Schwingen, gefolgt von einem erstickten Quieken. Seit ewigen Zeiten wiederholte sich dieses Drama; ein kleines, ausgelöschtes Leben, geopfert, um ein Anderes zu erhalten.
Wieder einmal begannen die Gedanken des jungen Blumenhüters zu wandern. Wie gut erinnerte er sich an die Nächte, in denen er es nicht mehr in dem Zimmer aushielt, das er mit zwei anderen Zöglingen teilte. Die Tage waren ausgefüllt mit all den Dingen, die ein Blumenhüterkind zu lernen hatte. Doch nachts, wenn die Lichter gelöscht waren, erwachte das Heim weh. Wie ein eingesperrtes Tier wanderte es im Bewusstsein des Buben umher, blind, winselnd, hilflos an den Wänden seines Gefängnisses kratzend.
Manchmal, wenn er es gar nicht mehr ertragen konnte, floh er heimlich durch das offene Fenster in den nahen Wald. Dort empfing ihn das sanfte Rauschen der Baumkronen wie die Stimme einer alles verstehenden Großmutter. In ihren dunklen, kü hlen Armen fand sein wehes Kinderherz Zuflucht und Trost.
Torian hatte die Entscheidung seiner Eltern nie angezweifelt. Sie hatten ihm erklärt, dass er nur mit einer heilen Rüstung ein richtiger Blumenhüter werden konnte. Und dass die dafür notwendige Heilung nur an diesem Ort geschehen konnte.
Erst jetzt, in diesem fremden, schrecklichen Land begann der junge Peonier zu begreifen, wie wichtig die Rüstung für einen Blumenhüter war.
Es war noch dunkel, als die drei Gefährten ihre Reise fortsetzten.
Gegen Tagesanbruch tat sich unvermittelt eine Schlucht vor ihnen auf. Ein gähnender Abgrund. Nackte, senkrecht nach unten fallende Wände. In der Tiefe das rauschende Donnern eines Flusses.
Ratlos suchten Torians Augen Janaels Gesicht. Der alte Lopunier schien nicht überrascht von dem abrupten Ende ihres Weges. Gelassen setzte er sich unter einen Baum, lehnte sich an des sen Stamm, schloss die Augen. Und wartete.
Worauf um alles in der Welt konnte man hier, mitten im Wald, am Rande einer Schlucht warten?
Janael dachte nicht daran, etwas zu erklären. Sein Kopf war vornüber gesunken. Er schlief tief und fest. Seinen beiden Gefährten blieb nichts anderes übrig, als sich ebenfalls niederzulassen.
Kaum hatten sie sich gesetzt, schliefen auch sie ein.
Mit leicht fröstelnden Gliedern erwachte Torian. Die Sonne schickte gerade ihre ersten goldenen Strahlen durch das lichte Dach der Baumkronen. So lange hatte er geschlafen? Sein Blick wanderte zu Pariko. Der Wandler weilte noch immer im Land der Träume. Wie sich sein Gesicht verändert hatte! Beinahe kindlich wirkte es. Sein Mund schmatzte leise, als ob er eine feine Speise schmecken wollte.
Janael war bereits aufgestanden. Er stand regungs los am Abgrund.
Leise erhob sich Torian und näherte sich seinem Gefährten.
Die Augen des alten Lopuniers waren auf die gegenüber liegende Seite der Schlucht gerichtet, als erwartete er von dort drüben eine Antwort auf eine nur ihm bekannte, in der Tiefe seiner Seele ruhende Frage.
Torian wagte nicht, ihn zu stören. Er beschloss, einfach hier stehen zu bleiben und zu warten, bis Janael etwas sagte oder wegging oder sonst etwas geschah.
„Da drüben sind sie“, flüsterte der alte Mann, „die Alten Weisen. Die Hüter der Hüter. Nun weiß ich, es gibt noch Hoffnung für mein Land. Solange sie da sind, ist noch nichts verloren.“
Die Seele des jungen Blumenhüters erschauerte.
Die Alten Weisen.
Es gab sie also auch in Lopunien.
Natürlich.
Wie hätten die Blumenhüter ohne sie in diesem Land überleben können?
Doch dann drängte sich eine Frage in sein
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