Matharis Kinder (German Edition)
erwartete sein Schicksal.
Das Gesicht des Meisters konnte er nicht er kennen. Dazu saß er zu weit vom Feuer entfernt. Dennoch fuhr ein kalter Blitz durch seine Glieder, als der Blick des am Feuer stehenden Mannes auf ihn traf. Und als wären diese Augen ein über ihn geworfenes Netz, hielten sie ihn gefangen.
Ohne dass er seinen Beinen den Befehl dazu gegeben hätte, stand Torian auf.
Himmel, was tat er da gerade? War er tatsächlich im Begriff, sich für den größten Wahnsinn zur Verfügung zu stellen, den man sich überhaupt ausdenken konnte? Wirklich zwingen konnte ihn niemand. Er könnte jetzt einfach den Kopf schütteln, sich wieder setzen, und die Sache wäre erledigt. Aber er tat es nicht. Er blieb stehen und wartete, bis der Meister ihn zu sich heranwinkte.
Seine Glieder führten auch weiterhin ein Eigen leben. Ohne den Blick zu heben, stakste er zwischen angezogenen Beinen und zur Seite rutschenden Gesäßen zur Mitte des Kreises. Mit gesenktem Kopf blieb er neben dem Meister stehen. Die Blicke seiner Brüder und Schwestern spürte er wie Berührungen an seinem ganzen Körper. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er mindestens eine Handbreit größer war als der Meister. Da senkte er den Kopf noch tiefer und zog seine Schultern zusammen.
Die Spannung in den Reihen der versammelten Blumenhüter wurde zu atemloser Angst. Wenn dieser Junge aus gewählt wurde, konnte es jeden der hier Anwesenden treffen. Alle blickten zu Boden, als könnten sie so den Augen des Schicksals entgehen.
Doch die Ohren konnten sie nicht verschließen. So hörten sie einen Namen, der sie alle vor Erstaunen hoch fahren ließ.
„Janael, dich möchte ich als Zweiten bitten, zu gehen.“
Janael? Dieser alte Mann? Was dem Jungen an Jahren zur vollen Reife noch fehlte, hatte dieser Greis lange schon hinter sich. Wie gebrechlich wirkte er, als er sich mühsam auf die Füße rappelte! Die Wahl des Meisters war mehr als sonderbar.
Torian hob den Kopf und blickte seinem zu künftigen Reisegefährten entgegen. Auch Janael hatte nur einen Herzschlag lang gezögert, dem Aufruf Folge zu leisten. Nun trafen sich ihre Blicke. Die alten Augen lagen tief in einem von Furchen durchzogenen Gesicht. Von lange vergangenen Leiden erzählten sie. Und von einer tiefen, nie verheilten Trauer.
Im Gegensatz zu den anderen Blumenhütern zweifelte Torian keinen Augenblick an dieser Wahl. Dieser alte Mann war genau der Richtige für diese Reise. Woher diese Gewissheit kam, wusste er nicht.
Nur der Meister kannte das Geheimnis des alten Mannes. Vor vielen Jahren war Janael gelungen, was nur Wenige vollbracht hatten: er war aus Lopunien geflohen! Nie hatte er jemandem von seiner verlorenen Heimat erzählt.
Die dritte Wahl des Meisters hingegen rief un gläubige Verblüffung hervor.
Was um alles in der Welt mochte ihn dazu bewogen haben, ausgerechnet diesen Mann auszuwählen? Viele kannten ihn. Keiner von ihnen hatte eine besonders hohe Meinung von ihm. Sein Name war Pariko. Das war auch schon das Einzige, das man von ihm wusste. Er war ein Außenseiter, der sich für nichts und niemanden zu interessieren schien. Pariko arbeitete ebenso fleißig und gewissenhaft wie jeder andere Blumenhüter. Doch niemand hatte ihn je anders als schweigsam und gleichgültig erlebt. Selbst in diesen Tagen, als er half, die Vermissten zu suchen und die Toten zu bergen, hatte sein rundes Gesicht nichts anderes als die ihm eigene, träge Ungerührtheit gezeigt. Für ihn schien es weder Freunde noch Verwandte zu geben. Weder unter den Lebenden, noch unter den Toten.
Was hatte den Meister bewogen, ausgerechnet diesen Sonderling auszuwählen?
Auch Pariko hatte ein Geheimnis, und vielleicht trug er daran ebenso schwer wie Janael, wenn auch auf andere Weise.
Er war ein Wandler.
Normalerweise waren die Blumenhüter unverkenn bar als Angehörige der Kleinen Leute gezeichnet. Es war unmöglich, dieses Merkmal zu verbergen oder abzulegen. Bis auf einige Ausnahmen. Diese nannte man „Wandler“. Ein Wandler besaß die Fähigkeit, in jede nur mögliche Rolle oder Gestalt zu schlüpfen. Könner unter ihnen waren in der Lage, sich so zu verändern, dass nicht einmal ihre eigenen Mütter sie wieder erkannt hätten.
In Peona musste sich kein Blumenhüter ver stecken. Deshalb wusste hier kaum jemand Bescheid über die Wandler.
Der ausgewählte Dritte hatte es nicht eilig nach vorne zu kommen. Gemächlich durchquerte er die Reihen der Sitzenden. Nichts an ihm verriet seine Beweggründe,
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