Matharis Kinder (German Edition)
Ihn erwartete ein ruhiges Leben in einem fried lichen Land.
Natürlich schüttelte auch hier jeder den Kopf über die Kleinen Leute . Sie waren so ganz anders als das Bürgervolk. Selbstverständlich wollte auch hier niemand etwas mit ihnen zu tun haben.
Wie überall auf der Welt galten in Peona die Mathari-Blumen als Unkraut. Sie wurden höchstens an den Rändern der fruchttragenden Felder geduldet. In den Gärten und auf den Äckern wurden sie ausgerissen. So mancher Gärtner staunte über die Wider standsfähigkeit dieser Pflanze. Fast jeder Bauer fluchte über ihre Unausrottbarkeit.
Doch die Blumenhüter ließ man in Ruhe. So konnten sie neben ihren sichtbaren Tätigkeiten als Bauern oder Hand werker ungestört ihre Aufgabe erfüllen.
Seit Menschengedenken wurden die Bewohner von Peona von Kriegen oder Naturkatastrophen verschont.
Bis zu jener Nacht, in der am Himmel ein tod bringendes, aus tiefster Hölle entflohenes Ungeheuer herauf zog und weit draußen auf dem offenen Meer sein finsteres Heer zu versammeln begann.
Die Menschen hatten ihr Tagewerk beendet und ihre Kinder zu Bett gebracht. Nun legten sich selbst zur Ruhe. Keiner von ihnen ahnte, dass am folgenden Morgen nichts mehr so sein würde, wie bisher.
Der Wächter des Leuchtturmes hielt mitten in seinen Bewegungen inne, als er, kurz nachdem er das Feuer entzündet hatte, von den steil aufragenden Klippen auf das Meer hinaus sah.
Glatt und reglos wie geschmolzenes Blei lag die Wasserfläche ausgebreitet. Und am sich rasch ver dunkelnden, eben noch völlig wolkenkosen Himmel war kein einziger Stern zu sehen.
Der Leuchtturmwächter erstarrte. Noch nie in seinem Leben hatte er einen so schwarzen Himmel ge sehen. Über eine Stunde blieb er am Fenster stehen. Er bekam keinen einzigen klaren Gedanken mehr in seinen Kopf, war zu nichts mehr fähig, außer in diesen schwarzen Himmel zu starren.
Die vom Sturm aufgetürmten Wellen trafen die schlafenden Küstenbewohner völlig unvorbereitet. Vielleicht hätten einige von ihnen Zeit gehabt, sich in Sicherheit zu bringen, wenn der Leuchtturmwächter sie gewarnt hätte. Vielleicht hätte man auf die Tiere hören sollen. Kurz nach Mitternacht begannen sie zu heulen, zu brüllen, zu wiehern und zu blöken. Alles was vier Beine und eine Stimme hatte, schrie in die sternenlose Nacht hinaus. Auch die Hühner gackerten und flatterten in ihren Ställen, wo sie vor dem Fuchs in Sicherheit waren. Doch auch der rote Räuber dachte nicht an Hühnerjagd in dieser Nacht.
Über dem Geschrei erwachten die Menschen. Sie gingen in die Ställe und versuchten die aufgeregten Tiere zu beruhigen. Vergeblich!
Als die Menschen das Brausen des Sturmes hörten, war es bereits zu spät.
Nachdem das Ungeheuer seine Heerscharen versammelt hatte, warf es sich brüllend über das Land. Wie ein aufgeblähter Rachegeist türmte sich das Wasser auf und wälzte sich Peonas Küsten ent gegen.
In der Nähe des Meeres hatte kein Lebewesen die geringste Chance, den heranrasenden Fluten zu entkommen. Sie starben, noch ehe sie begriffen hatten, wie ihnen geschah.
Doch damit war der Hunger des Ungeheuers noch nicht gestillt. Unersättlich fraß es sich ins Landesinnere hinein. Wo die vom Meer kommenden Wasser sich erschöpften, galoppierten die Wolken weiter und immer weiter. Sie erbrachen gigantische Wassermassen auf das Land, dessen Täler die Fluten bald nicht mehr schlucken konnten. Sie verwandelten sich Schlammwüsten.
Drei Tage tobten die Stürme. Sie mähten die Wälder nieder, rissen die Leiber der Häuser auf, wühlten Tische, Betten, Hunde, Katzen, Männer, Frauen, Kinder daraus hervor und pflückten die draußen Gebliebenen von den sich entwurzelnden Bäumen. Die Schreie der Todgeweihten gingen unter im Triumphgeheul der entfesselten Naturgewalten.
Niemand kam dazu, die Toten zu zählen. Er schlagen oder ertrunken trieben ihre Körper in den aufgeschwollenen Flüssen. Manche Leiber hingen in den zerfetzten Ästen der wenigen, stehen gebliebenen Bäume. Viele lagen zerschmettert unter Trümmern.
Die Überlebenden irrten durch die verwüsteten Täler. Sie riefen nach ihren Kindern, den Geschwistern, den Eltern. Viele waren es, die nach jemandem suchten. Und wenige, sehr wenige, die einander fanden!
Mit schweren Schritten erklomm der Meister der Blumenhüter eine kleine Anhöhe. Er war müde, wie alle, die sich dort versammelt hatten. Das wie durch ein Wunder unversehrt gebliebene Große Muschelhorn hatte die
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