Mathias Sandorf
hin abreisen. In Cattaro war er ebenso unbekannt, wie dieser selbst; sobald er sich an Bord des »Electric« befinden würde, sollte dieser die offene See gewinnen und Peter Bathory Alles erfahren, was er von der Vergangenheit Silas Toronthal’s noch nicht kannte. Das Bild Sarah’s mußte dann vor der Erinnerung an seinen Vater erblassen.
Die Ausführung des Planes bot also keine Schwierigkeiten. In zwei oder drei Tagen – der späteste Termin, den sich der Doctor gestellt hatte – konnte das Werk gethan, Peter auf immer von Sarah getrennt sein.
Am folgenden Tage, dem 9. Juni, kam ein Brief von Pointe Pescade. Dieser berichtete, daß es im Hotel des Stradone nichts Neues gab. Peter Bathory wollte Pointe Pescade seit jenem Tage nicht wiedergesehen haben, an dem er sich nach Gravosa begeben hatte, zwölf Stunden nach dem Auflaufen der Yacht.
Peter könne indessen Ragusa nicht verlassen haben. Er hätte sich ganz gewiß in dem Hause seiner Mutter eingeschlossen. Pointe Pescade vermuthete – und er irrte darin nicht – daß die Abfahrt der »Savarena« diese Aenderung in den Gewohnheiten des jungen Ingenieurs herbeigeführt hatte, umsomehr, als derselbe nach der Abfahrt verzweifelt nach Hause zurückgekehrt war.
Der Doctor entschloß sich, schon am nächsten Tage seine Operationen damit zu beginnen, daß er einen Brief an Peter Bathory schrieb, einen Brief, der ihn aufforderte, unverzüglich zu ihm nach Cattaro zu kommen.
Ein völlig unerwartetes Ereigniß sollte diese Vorsätze ändern und es dem Zufalle überlassen, die Betheiligten an dasselbe Ziel zu führen.
Am Abende desselben Tages gegen acht Uhr befand sich der Doctor auf dem Quai von Cattaro, als das Einlaufen des Packetbootes »Saxonia« signalisirt wurde.
Die »Saxonia« kam von Brindisi, welche Stadt sie angelaufen hatte, um Passagiere aufzunehmen. Von dort begab sie sich nach Triest, wobei sie Cattaro, Ragusa, und Zara und andere Häfen an der österreichischen Küste des Adriatischen Meeres anlief.
Der Doctor stand gerade dicht bei der Anlegebrücke, mittelst derer das Ein-und Ausschiffen der Reisenden bewerkstelligt wurde, als sein Blick im letzten Tagesschimmer sich starr auf einen Reisenden richtete, dessen Gepäck man soeben auf den Quai hinübertrug.
Dieser, ungefähr vierzig Jahre alte Mann von hochmüthigem, fast unverschämtem Aussehen, gab seine Befehle mit lauter Stimme. Es war eine jener Persönlichkeiten, deren schlechte Erziehung man empfindet, selbst wenn sie höflich sind.
»Er!… Hier, in Cattaro!…«
Diese Worte wären den Lippen des Doctors entschlüpft, wenn er sie nicht mit Gewalt unterdrückt hätte, ebenso wie eine Bewegung des Zornes, der aus seinen Blicken drang.
Der Passagier war Sarcany. Fünfzehn Jahre waren seit jener Zeit verflossen, in der er die Obliegenheiten eines Buchhalters im Hause des Grafen Zathmar erfüllt hatte. Er war nicht mehr, am wenigsten in seiner Kleidung, der Abenteurer, den man durch die Straßen Triests zu Beginn dieser Erzählung hat irren sehen. Er trug ein elegantes Reisecostüm unter einem Staubmantel nach der neuesten Mode und seine Gepäckstücke mit ihrem vielseitigen Messingbeschlag, bewiesen, daß der einstige tripolitanische Makler jetzt comfortabel zu leben verstand.
Sarcany hatte seit fünfzehn Jahren, Dank dem riesigen Antheile an dem Vermögen des Grafen Sandorf, ein Leben voll Luxus und Freude geführt. Was war ihm davon übrig geblieben? Seine besten Freunde, wenn er solche gehabt hätte, würden es nicht haben sagen können. Jedenfalls trug sein Antlitz Spuren der Befangenheit, ja selbst der Besorgniß, deren Ursache diese in sich verschlossene Natur schwerlich errathen ließ.
»Woher kommt er?… Wohin geht er?« fragte sich der Doctor, der ihn nicht aus den Augen verlor.
Woher Sarcany kam, konnte man leicht durch den Commissär der »Saxonia« erfahren. Dieser Passagier hatte in Brindisi das Dampfboot bestiegen. Doch ob er aus Ober-oder Unter-Italien kam, wußte man nicht. Er kam aus Syrakus. Auf die Depesche der Marokkanerin hin hatte er sofort Sicilien verlassen und war nach Cattaro abgereist.
Cattaro war nämlich schon früher als Rendezvousort verabredet worden. Jene Frau, deren Mission in Ragusa nun zu Ende zu sein schien, erwartete ihn hier.
Die Fremde stand ebenfalls auf dem Quai und harrte auf das Schiff. Der Doctor bemerkte sie, er sah Sarcany auf sie zueilen und hörte noch, was sie zu ihm in arabischer Sprache sagte:
»Es war die höchste
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