Mathias Sandorf
Lebensjahr erreicht haben würde, die Hälfte der Güter ihres Vaters ausgeliefert werden. Durch denselben Urtheilsspruch, der die Confiscation der Besitzthümer und den Tod des Besitzers verfügte, war ihr diese Gunst zu Theil geworden. Da Intendant Landeck in seiner Stellung als Verwalter des unter Sequester gestellten Theiles der siebenbürgischen Domäne belassen worden war, so waren er und seine Frau mit dem Kinde auf dem Schlosse geblieben, dem sie ihr ganzes ferneres Leben weihen wollten. Doch es schien, als schwebte ein Verhängniß über die nur noch aus diesem kleinen Wesen bestehende Familie Sandorf. Einige Monate nach der Verurtheilung der Verschwörer von Triest und den Ereignissen, welche darauf folgten, verschwand das Kind, ohne daß es gelang, seiner wieder habhaft zu werden. Man fand nur sein Hütchen am Rande eines der zahlreichen Bäche, welche von den benachbarten Abhängen der Berge in den Park sich ergießen. Man mußte leider annehmen, daß die Kleine in einen der Abgründe gerissen worden war, durch welche die Karpathenströme ihren Weg nehmen; eine fernere Spur fand man nicht. Rosena Landeck, die Frau des Intendanten, traf dieser Schlag tödtlich; einige Wochen nach der Katastrophe starb sie. Die Regierung wollte trotzdem eine Aenderung ihrer einmal erlassenen Verfügungen nicht eintreten lassen. Das Sequester über den einen reservirten Theil der Sandorf’schen Besitzungen blieb in Kraft, und die Güter des Grafen sollten nur dann an den Staat fallen, wenn seine Erbin, deren Tod nicht in gesetzmäßiger Weise constatirt werden konnte, nicht innerhalb der festgesetzten Zeit wieder zum Vorschein käme, um die Erbschaft in Empfang zu nehmen.
Dieses war der letzte Schlag, der die Sandorf’s getroffen hatte, deren Geschlecht durch das Verschwinden der einzigen Sprossin dieser edlen und mächtigen Familie so gut wie erloschen schien. Die Zeit that im Uebrigen ihr Werk und bald war dieses Ereigniß ebenso wie die anderen Vorfälle vergessen, die sich an die Verschwörung geknüpft hatten.
In Otranto, wo damals Graf Mathias Sandorf im strengsten Incognito lebte, erfuhr derselbe den Tod seines Kindes. Mit ihm verschwand Alles, was ihm noch von der Gräfin Réna geblieben, welche nur so kurze Zeit seine Gattin und von ihm so heiß geliebt worden war. Unbemerkt wie er gekommen, verließ er eines Tages Otranto und Niemand hätte verrathen können, wo er ein neues Leben begann.
Pointe Pescade wurde dem Genesenden als Pfleger beigesellt. (S. 284.)
Als fünfzehn Jahre später Graf Mathias Sandorf wieder auf der Bildfläche erschien, vermuthete Niemand, daß er es war, der sich unter dem Namen und dem Spiel der Rolle des Doctor Antekirtt verbarg.
Mathias Sandorf lebte nun vollständig der Erfüllung seiner Pläne. Er stand jetzt allein auf der Welt und hatte nur noch ein Werk zu vollenden, ein Werk, dessen Durchführung er als eine heilige Aufgabe betrachtete. Mehrere Jahre, nachdem er Otranto verlassen hatte, nachdem er mächtig durch jene Macht geworden, welche allein ein ungeheures Vermögen verleiht, erworben unter Umständen, die wir bald kennen lernen werden, nachdem er vergessen war und durch sein Incognito geschützt wurde, begann er jenen nachzuspüren, die er entschädigen, beziehungsweise bestrafen wollte. Peter Bathory – so war es längst seine Absicht gewesen – sollte diesem Werke der Gerechtigkeit verbündet werden. Er hatte Agenten in den verschiedensten Städten an der Küste des Mittelländischen Meeres angeworben. Sie wurden reichlich belohnt, dafür aber angehalten, unverbrüchliches Schweigen über ihre Thätigkeit zu beobachten. Sie correspondirten nur mit dem Doctor, theils vermittelst der Eilschiffe, die wir bereits kennen, theils durch das unterseeische Kabel, welches die Insel Antekirtta mit den elektrischen Drähten auf Malta, und Malta wiederum mit Europa verband.
Dadurch, daß er den Berichten seiner Agenten die eigenen Untersuchungen folgen ließ, gelangte er schließlich auf die Spuren aller derer, welche direct oder indirect an der Verschwörung des Grafen Sandorf betheiligt gewesen waren. Er konnte sie so von Weitem überwachen, sich über ihre Unternehmungen im Laufenden erhalten und ihnen, namentlich seit vier oder fünf Jahren, sozusagen auf Schritt und Tritt folgen. Er wußte, daß Silas Toronthal Triest verlassen und sich mit Frau und Kind im bewußten Hotel im Stradone von Ragusa niedergelassen hatte. Er beobachtete Sarcany’s Rundreise durch die
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