Mathias Sandorf
glaubte, folterte ihn eine schmerzende Beklemmung und er war oft nahe daran, Jenen zu fluchen, die ihn dem Tode entrissen hatten.
Pointe Pescade sah wohl, daß dieses Fest in Gravosa in Peter trübe Erinnerungen wachrief. Er sprach also nicht weiter von demselben und hüllte sich selbst in Schweigen, indem er bei sich meinte:
»Mein Kranker soll alle fünf Minuten einen halben Löffel voll guter Laune einnehmen. So wünscht es der Herr Doctor, aber es ist nicht so leicht.«
Peter selbst war es, der von Neuem zu fragen begann, als er einige Augenblicke später die Augen wieder aufschlug:
»Kanntet Ihr den Doctor Antekirtt schon vor dem Stapellaufe des Trabocolo, Pointe Pescade?
– Wir hatten ihn nie zuvor gesehen, Herr Peter, antwortete Pointe Pescade, und kannten bis dahin nicht einmal seinen Namen.
– Von jenem Tage an aber habt Ihr ihn nie verlassen?
– Niemals, außer wenn er mich mit einigen Aufträgen beehrte.
– In welchem Lande befinden wir uns hier? Könnt Ihr mir das sagen, Pointe Pescade?
– Ich muß annehmen, daß wir uns auf einer Insel befinden, da das Meer uns auf allen Seiten umgibt.
– Jedenfalls, doch in welchem Theile des Mittelmeeres?
– Ja so! Offen gestanden, ich weiß es nicht, ob im Norden, Westen, Süden oder Osten, meinte Pointe Pescade. Es ist das auch im Uebrigen vollständig gleichgiltig. Eines ist sicher, daß wir uns nämlich beim Doctor Antekirtt befinden und daß man uns gut beköstigt, kleidet, schlafen läßt, ohne der Auszeichnungen zu gedenken…
– Aber Ihr werdet doch wenigstens wissen, wie diese Insel heißt, wenn Ihr auch nicht ihre Lage kennt? fragte Peter.
– Wie sie heißt?… O gewiß! Sie heißt Antekirtta!« erwiderte Pointe Pescade.
Peter Bathory strengte vergebens sein Gedächtniß an, um sich zu erinnern, ob eine Insel des Mittelmeeres diesen Namen trüge. Er blickte Pointe Pescade an.
»Ja, Herr Peter, Antekirtta! beantwortete dieser die stumme Frage. Meinem Onkel würde nichts übrig bleiben, »unter keinem Längen-und keinem Breitengrade« auf die Adresse eines Briefes an mich zu schreiben, vorausgesetzt, daß ich einen Onkel hätte; leider aber hat mir der Himmel bis jetzt diese Freude versagt. Es gibt aber nichts Erstaunliches an der Sache, daß diese Insel sich Antekirtta nennt, weil sie dem Doctor Antekirtt gehört. Ob nun der Doctor seinen Namen der Insel entlehnt hat oder ob die Insel den Namen des Doctors angenommen hat, das zu sagen ist mir ganz unmöglich, und wenn ich selbst Generalsecretär einer geographischen Gesellschaft wäre.«
Die Reconvalescenz Peter’s nahm ihren regelmäßigen Verlauf. Keiner der Zufälle, die befürchtet werden konnten, trat hinzu. Mit Hilfe einer consistenteren, doch vorsichtig bereiteten Mahlzeit nahm der Kranke von Tag zu Tag an Kräften zu. Der Doctor besuchte ihn häufig und sprach mit ihm über alles Mögliche, nur nicht von solchen Dingen, die Peter directer interessiren konnten. Und Peter, der nicht vorzeitige Vertraulichkeiten wachrufen wollte, wartete, bis es dem Doctor gefallen würde, sich ihm zu eröffnen.
Pointe Pescade hatte dem Doctor getreulich die Brocken der Unterhaltung hinterbracht, die zwischen ihm und dem Kranken ausgetauscht worden waren. Das Incognito, welches nicht nur den Grafen Mathias Sandorf beschützte, sondern sich auch auf die von ihm bewohnte Insel erstreckte, beschäftigte die Gedanken Peter Bathory’s augenscheinlich. Ebenso ersichtlich war es, daß er beständig noch an Sarah Toronthal dachte, die ihm jetzt so entfernt weilte, da jede Verbindung zwischen Antekirtta und dem europäischen Continente abgeschnitten schien. Doch der Augenblick war nahe, in welchem er stark genug sein sollte, Alles zu erfahren.
Ja! Alles zu hören, und an jenem Tage wollte der Doctor, wie ein operirender Chirurg, mitleidslos den Wehrufen des Patienten gegenüber sein.
Mehrere Tage verstrichen. Die Wunde des jungen Mannes war vollständig vernarbt. Er konnte schon aufstehen und an dem Fenster seiner Stube Platz nehmen. Die mildthätige Sonne des Mittelländischen Meeres schmeichelte ihm, eine lebhafte Meeresbrise blähte seine Lungen auf und gab ihm Gesundheit und Kraft wieder. Er fühlte sich wider Willen gefunden. Seine Augen hefteten sich hartnäckig an den grenzenlosen Horizont, über den hinaus sein Blick gern geschweift wäre; sein Gemüth war eben noch sehr leidend. Die ungeheure Wasserwüste rings um die Insel lag fast immer verlassen da. Kaum einige Küstenfahrzeuge, Schebecken
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