Mathias Sandorf
Man befand sich auch dort nicht in einem der civilisirten Länder Europas, wo das Gericht und die Polizei in nützlicher Weise hätten interveniren können. Wie beweisen in jener Sclavengegend, daß Sarah nicht das gesetzmäßige Eigenthum der Marokkanerin war? Wie beweisen, daß sie die Tochter des Grafen Sandorf, wenn der Brief von Frau Toronthal und das Geständniß des Banquiers keine Anerkennung fanden? Diese arabischen Häuser sind verwünscht sorgfältig verschlossen und wenig zugänglich! Man kommt nicht so ohne Weiteres hinein. Die Intervention eines Kadi war unter Umständen auch sehr zweifelhafter Natur, vorausgesetzt, daß man sie überhaupt erlangte.
Es wurde also beschlossen, daß zunächst, und um den geringsten Verdacht zu vermeiden, das Haus Namir’s der Gegenstand peinlichster Ueberwachung werden mußte. Pointe Pescade ging schon am frühen Morgen mit Luigi, der während seines Aufenthaltes auf der kosmopolitischen Insel Malta etwas arabisch gelernt hatte, fort, um Erkundigungen einzuziehen. Beide versuchten zu erfahren, in welchem Stadttheile, in welcher Straße diese Namir wohnte, deren Name bekannt sein mußte. Danach würde sich zunächst das fernere Verhalten zu richten haben.
Der »Electric 2« hatte unterdessen in einer der verborgenen Buchten des Gestades bei der Mündung des Flusses von Tetuan Zuflucht gesucht; er sollte sich bereit halten, beim ersten Signal in See zu gehen.
Diese Nacht also, deren Stunden dem Doctor und Peter viel zu langsam verstrichen, wurde in der Fonda verbracht. Wenn Pointe Pescade und Kap Matifu jemals der Gedanke gekommen wäre, auf mit Fayencen eingelegten Betten zu schlafen, so waren sie hier gewiß zufriedengestellt.
Nachdem einige Erkennungsworte ausgetauscht waren… (S. 502.)
Am folgenden Morgen also begaben sich Pointe Pescade und Luigi auf den Bazar, woselbst schon ein Theil der teluanischen Bevölkerung zusammenströmte.
Pointe Pescade kannte Namir, denn er hatte sie gewiß zwanzig Male in den Straßen von Ragusa gesehen, als sie für Sarcany Dienste als Spionin that. Es konnte sich also ereignen, daß man sie traf; da Pointe Pescade ihr unbekannt war, so konnte das Zusammentreffen nichts unbequemes im Gefolge haben. Traf man sie, so brauchte man ihr also nur nachzugehen.
In dieser buntscheckigen Gesellschaft… (S. 506.)
Der Hauptbazar von Tetuan bildet ein Ensemble von Schuppen und niedrigen, engen, stellenweise sogar schmutzigen Baracken, welche feuchte Alleen einnehmen. Verschiedenartig gefärbte, auf Schnüre gezogene Leinwanddächer beschützen sie vor den glühenden Strahlen der Sonne. Ueberall düstere Gewölbe, in denen mit Seide gestickte Stoffe, in schreienden Farben gehaltene Besatzartikel, türkische Pantoffel, Almosenbeutel, Burnusse, Töpferwaaren, Leuchter, Räucherkerzen, Laternen ausgebreitet sind – mit einem Worte, was sich beständig in den Specialgeschäften der großen Städte Europas vorfindet.
Es waren schon ziemlich viele Käufer da. Man wollte die Morgenkühle benützen. Bis zu den Augen verhüllte Maurinnen, Jüdinnen mit unverhülltem Antlitz, Araber, Kabylen, Marokkaner kamen und gingen auf dem Bazar und beschwatzten die kleine Anzahl Fremder. Die Anwesenheit Luigi’s und Pointe Pescade’s konnte daher nicht besonders auffallen.
Beide versuchten eine ganze Stunde hindurch, in dieser buntscheckigen Gesellschaft Namir zu begegnen. Es war vergebens. Die Marokkanerin zeigte sich nicht, noch weniger Sarcany.
Luigi wollte darauf einige von den halbnackten Jungens befragen – es sind Bastardsprößlinge aller afrikanischen Rassen, deren Mischung sich vom Rif bis zu den Grenzen der Sahara vollzieht – die in den marokkanischen Bazars umherlungern.
Die Ersten, an welche er sich wandte, konnten ihm auf seine Fragen keine Antwort geben. Endlich versicherte ein zwölf Jahre alter Kabyle mit richtigem Straßenjungengesicht, daß er die Behausung der Marokkanerin kenne, und er bot sich an, gegen Hinterlegung einiger Geldstücke, die beiden Europäer dorthin zu führen.
Das Anerbieten wurde angenommen und alle Drei wanden sich jetzt durch die verwickelten Straßenzüge, welche nach den Befestigungen der Stadt hin auslaufen. In zehn Minuten hatten sie ein fast verlassenes Stadtviertel erreicht, in welchem die fensterlosen Häuser spärlich gesäet waren.
Der Doctor und Peter Bathory erwarteten mit fieberhafter Ungeduld die Rückkehr Luigi’s und Pointe Pescade’s. Wohl an zwanzig Male fühlten sie sich
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