Mathias Sandorf
Toronthal herzuführen.
Eine Viertelstunde später verließ der Banquier die Kasematte, welche ihm zum Gefängniß gedient hatte; sein Gelenk wurde von der breiten Hand Kap Matifu’s umklammert; so gingen sie die große Straße von Artenak entlang. Luigi, den er gefragt, wohin man ihn führe, hatte ihm keine Antwort geben wollen. Der Banquier war deshalb sehr besorgt, umsomehr, als er noch immer nicht wußte, welches die mächtige Persönlichkeit war, in deren Gewalt er sich seit seiner Verhaftung befand.
»Zum letzten Male, wo befindet sich Sarah?« (S. 499.)
Silas Toronthal betrat den Saal; Luigi ging ihm voran, während Kap Matifu ihn noch immer festhielt. Er bemerkte zuerst Pointe Pescade, denn Frau Bathory und ihr Sohn hielten sich noch abseits. Plötzlich befand er sich dem Doctor gegenüber, mit dem in Verbindung zu kommen er sich bei dessen Aufenthalt in Ragusa vergeblich abgemüht hatte.
»Sie… Sie?« rief er.
Dann sich aufraffend meinte er:
»Ah, also der Herr Doctor Antekirtt ist es, der mich auf französischem Gebiete hat festnehmen lassen…. Also er hält mich gegen jedes Recht als Gefangenen zurück…
– Doch nicht gegen jede Gerechtigkeit, antwortete der Doctor.
– Und was habe ich Ihnen gethan? fragte der Banquier, dem die Anwesenheit des Doctors ersichtlich Vertrauen einflößte. Wollen Sie mir, bitte, sagen, was ich Ihnen gethan habe?
– Mir?… Sie werden es erfahren, erwiderte der Doctor. Aber vorher, Silas Toronthal, fragen Sie nur, was Sie dieser unglücklichen Frau gethan haben…
– Frau Bathory! rief der Banquier und wich vor der Witwe zurück, die langsam auf ihn zukam.
– Und ihrem Sohne, setzte der Doctor hinzu.
– Peter!… Peter Bathory!« stammelte Silas Toronthal.
Er wäre entschieden zusammengesunken, wenn Kap Matifu ihn nicht mit unentrinnbarer Kraft auf seinem Platze aufrecht gehalten hätte.
Peter Bathory, den er für todt hielt, dessen Leichenzug er hatte vorüberziehen sehen, Peter, den man auf dem Kirchhofe von Ragusa begraben hatte, dieser Peter stand vor ihm, wie ein dem Grabe entstiegenes Gespenst. Seine Gegenwart machte Silas Toronthal mürbe. Er begann zu begreifen, daß er der Vergeltung für seine Thaten nicht entgehen würde…. Er fühlte sich verloren.
»Wo ist Sarah? fragte der Doctor barsch.
– Meine Tochter?
– Sarah ist nicht Ihre Tochter!… Sarah ist die Tochter des Grafen Sandorf, den Sarcany und Sie in den Tod getrieben, nachdem Sie ihn und seine beiden Genossen, Stephan Bathory und Ladislaus Zathmar, feiger Weise verrathen haben.«
Diese förmliche Anklage vernichtete den Banquier vollends. Der Doctor Antekirtt wußte nicht nur, daß Sarah nicht seine Tochter wäre, er wußte sogar auch, daß sie die Tochter des Grafen Sandorf sei. Er wußte wie und durch wen die Verschwörer von Triest angezeigt worden waren. Die ganze schmachvolle Vergangenheit von Silas Toronthal war mit einem Male wieder lebendig geworden.
»Wo ist Sarah? fragte der Doctor von Neuem, der nur mit Hilfe seiner aufgebotenen Willensstärke an sich hielt. Wo ist Sarah, die Sarcany, Ihr Genosse bei allen Schandthaten, vor fünfzehn Jahren aus dem Schlosse Artenak gestohlen hat?… Wo ist Sarah, welche der Elende an einem Orte zurückhält, den Sie kennen müssen, denn Jener will ihr die Einwilligung zu einer Ehe entreißen, welche sie für eine Schmach hält…. Zum letzten Male, wo befindet sich Sarah?«
So erschreckend auch die Haltung des Doctors war, so drohend auch seine Worte klangen, Silas Toronthal antwortete nicht. Er hatte begriffen, daß die gegenwärtige Lage des jungen Mädchens ihm als Lebensschutz dienen mußte. Er fühlte, daß sein Leben unangetastet bleiben würde, so lange er sich noch im Besitze dieses letzten Geheimnisses befand.
»Hören Sie mich, Silas Toronthal, sagte der Doctor, der seine Kaltblütigkeit wiedergewonnen hatte, hören Sie mich. Sie glauben vielleicht Ihren Genossen schonen zu müssen. Sie fürchten vielleicht, ihn bloßzustellen, wenn Sie reden würden. Merken Sie sich: Sarcany hat, um sich Ihres Schweigens versichert zu halten, nachdem er Sie ruinirt hatte, versucht, Sie zu ermorden, gerade wie er Peter Bathory in Ragusa erstochen hat…. So ist es!… In dem Augenblicke, als meine Vertreter sich Ihrer auf der Straße nach Nizza bemächtigten, war er im Begriff, Sie anzufallen…. Bestehen Sie jetzt noch auf Ihr Schweigen?«
Silas Toronthal war in die Idee wie verbohrt, daß sein Schweigen seinen Gegner zu
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