Mathias Sandorf
»Savarena« befördern ließ. »Er würde sich glücklich schätzen,« schrieb er in demselben, »die Ansicht eines Arztes von so unbestreitbarem Verdienste zu vernehmen.« Dann bat er, zugleich mit der Entschuldigung wegen der Störung, die sein Anliegen in das zurückgezogene Leben des Doctors bringen mußte, »ihm den Tag anzeigen zu wollen, an dem er ihn im Hotel am Stradone erwarten dürfte.«
Als am folgenden Tage der Doctor diesen Brief empfing, dessen Aufschrift er zuerst betrachtete, zuckte nicht ein Muskel in seinem Gesicht. Er las ihn bis zur letzten Zeile, aber nichts verrieth, welcher Natur seine Ueberlegung war, die durch den Brief in ihm wachgerufen wurde.
Welche Antwort war hier die richtige? Sollte er die ihm gebotene Gelegenheit, in das Haus Toronthal’s zu dringen, benützen und sich mit der Familie des Banquiers in Verbindung setzen? Konnte andererseits die Art und Weise, wie er das Haus des Banquiers betreten würde, selbst in seiner Stellung als Arzt, ihm genehm sein?
Der Doctor schwankte nicht. Er warf nur wenige Worte auf das Papier, welches dann dem Diener Toronthal’s eingehändigt wurde. Dieselben lauteten:
»Doctor Antekirtt bedauert, seine Sorgfalt Frau Toronthal nicht widmen zu können. Er ist kein europäischer Arzt.«
Weiter nichts.
Als der Banquier diese lakonische Antwort erhielt, zerknitterte er das Briefpapier mit der Geberde lebhaften Unwillens. Es war mehr als augenscheinlich, daß der Doctor nicht in Verbindung mit ihm zu treten wünschte. Die Absage ließ deutlich genug durchschimmern, daß diese eigenartige Persönlichkeit ihren unwiderruflichen Entschluß bereits gefaßt hatte.
»Und wenn er selbst kein europäischer Arzt ist, sagte er bei sich, warum wollte er es für Frau Bathory sein… vorausgesetzt, daß er sich als Doctor bei ihr eingeführt hat?… Was hätte er auch sonst dort zu thun?… Was können die Beiden miteinander haben?«
Diese Ungewißheit folterte Silas Toronthal, dessen ruhiges Leben durch die Anwesenheit des Doctors in Gravosa vollständig in Unordnung gerathen war und voraussichtlich so lange gestört blieb, als die »Savarena« im Hafen ankerte. Er sagte übrigens seiner Frau und seiner Tochter nichts von dem erfolglosen Schritte, den er gethan. Er zog es vor, das Geheimniß seiner sehr begründeten Unruhe für sich zu behalten, hörte aber nicht auf, den Doctor auch ferner überwachen zu lassen, um über alle Schritte unterrichtet zu sein, die dieser von Gravosa nach Ragusa noch machen würde.
Schon am nächsten Tage gab ihm ein neuer Vorfall Grund zu nicht weniger ernster Besorgniß.
Peter Bathory war entmuthigt von Zara zurückgekehrt. Er hatte sich betreffs der ihm angebotenen Stellung nicht einigen können, welche die Leitung eines bedeutenden metallurgischen Hüttenwerkes in der Herzegowina betraf.
»Die Bedingungen waren nicht annehmbar,« begnügte er sich seiner Mutter zu sagen.
Frau Bathory sah den Sohn an, wollte aber nicht fragen, weshalb die Bedingungen nicht annehmbar waren. Dann überreichte sie ihm den während seiner Abwesenheit für ihn eingelaufenen Brief.
Es war derselbe, durch den Doctor Antekirtt Peter Bathory aufforderte, zu ihm an Bord der »Savarena« zu kommen, um sich mit ihm über eine Angelegenheit zu unterhalten, deren Kenntniß für ihn gewiß von Interesse sein würde.
Peter Bathory reichte den Brief seiner Mutter. Dieses vom Doctor ausgehende Anerbieten konnte sie nicht überraschen.
»Ich war darauf gefaßt, sagte sie.
– Sie erwarteten diesen Vorschlag, Mutter? fragte der über diese Antwort nicht wenig erstaunte junge Mann.
– Ja, Peter. Der Doctor Antekirtt war während Deiner Abwesenheit bei mir.
– Wissen Sie, wer dieser Mann ist, von dem man seit Kurzem in Ragusa so viel spricht?
– Nein, mein Sohn. Doctor Antekirtt kannte Deinen Vater, er war ein Freund des Grafen Sandorf und führte sich als solcher bei mir ein.
– Welche Beweise hat Ihnen dieser Doctor gegeben, Mutter, daß er wirklich der Freund meines Vaters gewesen ist?
– Keine! erwiderte Frau Bathory, die nicht von der Uebersendung der hunderttausend Gulden sprechen wollte, was der Doctor vor dem jungen Manne ebenfalls geheim halten sollte.
– Und wenn er irgend ein Schleicher, ein Spion, ein Agent Oesterreichs ist? fragte Peter Bathory.
– Du wirst ihn richtig beurtheilen, mein Sohn.
– Sie rathen mir also zu ihm zu gehen?
– Ja, ich rathe es Dir. Man darf einen Mann nicht bei Seite schieben, welcher auf Dich die
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