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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Fernseher, also ging ich auf die Geräusche zu. Ins Wohnzimmer.
    Ma war dort. Pa ebenfalls. Er stand und sie saß, aber beide schauten auf den Bildschirm. Mas Körper verdeckte das Bild. Sie trug einen BH – so läuft sie normalerweise nicht im Haus herum. Ich sah die Sommersprossen auf ihrem Rücken. Warum mussten sie ausgerechnet jetzt einen Film sehen?, fragte ich mich. Alle beide vollkommen vertieft. Es war zum Verzweifeln.
    Dann hörte ich eine Fernsehstimme sagen «unbekannt» und dachte spontan an fliegende Untertassen. Ich hüstelte, um auf mich aufmerksam zu machen.
    Als Ma sich umdrehte, hatte sie Tränen in den Augen. Sie starrte mich an, und ich stand kerzengerade da. Ich wartete darauf, dass sie etwas sagte. Sie öffnete den Mund, aber es kam nichts heraus, und dann wandte sie sich einfach wieder dem Fernseher zu.
    Mit Pa genau das Gleiche. Schweigend, Tränen in den Augen.
    Es ist passiert, war mein erster Gedanke. Ich habe es vollbracht. Trauer.
    Aber der Fernseher, das passte nicht.
    Vielleicht versuchen sie, mich wütend zu machen, war mein zweiter Gedanke. Ich ging um Ma herum, damit ich sehen konnte, wasda lief. Es war ein Film über ein Erdbeben oder einen Brand. Leute schrien und rannten. Es sah aus wie ein Katastrophenfilm, nur war es keiner. Es waren die Nachrichten.
    Pa kam zu mir und drückte meine Schulter.
    «Wieder ein Anschlag», sagte er.
    Ich sah auf den Bildschirm, aber ich wurde nicht klug daraus. Nur eine Menge Rauch und Trümmer. Und Leute, die auf dem Boden lagen und sich nicht rührten.
    «Wo ist das?», fragte ich. «In welchem Land?»
    Plötzlich wechselte das Bild. Es kam mir vor wie ein selbst gedrehtes Video vom selben Ort. Man sah ein großes weißes Gebäude, vollkommen unversehrt. Viele Leute gingen hinein, hauptsächlich Männer in dunklen Anzügen. Wer immer die Kamera führte, war eine Straßenecke entfernt und muss heftig gezittert haben, weil das Bild regelrecht herumhüpfte.
    Dann kam die Explosion. Das Haus begann zu schwanken wie eine Fata Morgana in der Wüste. Dann folgte ein noch lauterer Krach, als das ganze Gebäude zusammenbrach, wobei riesige Brocken in alle Richtungen flogen.
    «O mein Gott», sagte Ma.
    Manche Teile fielen auf Menschen, die noch draußen waren. Alles hüllte sich in Rauch. Es war schlimmer als die Oper. Fast so schlimm wie die Flugzeuge damals, als ich klein war.
    Dann wechselte die Einstellung. Die Kamera schwenkte herum, von der Person, die sie hielt, auf das eigene Gesicht gerichtet. Es war ein verschwommener Mann mit blauen Augen und einem Bart.
    «Ihr werdet alle sterben», sagte er.
    Dann schoss er sich selbst in den Kopf, und alles erlosch.
    «O mein Gott», sagte Ma wieder.
    Dabei kam mir wieder ins Bewusstsein, wie schlecht mir war, und ich wünschte mir, jemand hielte mir einen kalten Waschlappen an die Stirn.
    «Das ist doch gar nicht in Wirklichkeit», sagte ich.
    Jetzt schluchzte Ma. Aber irgendwie war alles verkehrt.
    «Ma», sagte ich, «das ist ein Film.» Ich setzte mich neben sie, weil ich Angst hatte, gleich umzukippen. Mein ganzer Körper brannte.
    Was soll das alles?, dachte ich. Was ist das für ein Humbug?
    Auf dem Bildschirm waren wieder die Szenen mit Rauch und Schreien.
    «Ich muss zur Schule», sagte ich. Aber es klang seltsam, weil meine Zähne klapperten.
    «Schon gut», sagte Pa. Er kam zu mir und drückte mich.
    «Sie sollte das nicht sehen», sagte Ma.
    «Wo ist das?», fragte ich. Aber da sie nicht antworteten, stand ich auf und guckte aus dem Fenster, um mich zu vergewissern, dass es nicht hier in der Gegend war.
    Beim nächsten Blick auf den Fernseher sah ich eine schwarze Frau, die weiß geworden war. Sie bekam keine Luft, und ein dünner weißer Polizist half ihr über die Straße. Sie stieß Laute aus wie Lucy Mond.
    «Terroristen», sagte eine Stimme im Fernsehen.
    Das gelbe Kleid starb langsam an mir ab.
    Ich marschierte quer durchs Zimmer und stellte den Fernseher aus.
    «Was machst du?», sagte Pa. «Stell ihn wieder an.»
    Beide starrten mich nur hilflos an, mit hängenden Gesichtern. Sie sahen aus wie anderer Leute Kinder.
    «Stell ihn wieder an», sagte Pa noch einmal.
    Ma zeigte wie eine Blöde mit dem Finger auf den Bildschirm.
    «Mathilda», sagte sie. «Nicht.»
    Erst war sie blind, aber dann sah sie es. Ihr ganzes Gesicht wechselte die Farbe.
    «Was hast du da an?», sagte sie. Man konnte sie kaum hören, aber dann sagte sie es noch einmal.
    «Was zum Teufel hast du an?»
    Pa kam zu mir

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