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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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jemandem wehtun. Und rückwärts buchstabiert heißt er Daye, das klingt eher positiv.
    Aber auch wenn er kein Terrorist ist, könnte er mit einem zu tunhaben. Gestern trug er ein T-Shirt mit einer Flagge drauf. Unserer Flagge, die vermutlich auch seine ist. Dennoch, es war irgendwie peinlich. Und ein bisschen verdächtig. Als trüge man ein Shirt mit seinem eigenen Namen drauf. Wenn ich einen Jungen mit JOE auf seinem Hemd sähe, und er käme an und sagte: Hallo, ich heiße Joe, würde ich mich wohl fragen, stimmt das echt? Ich würde ihm einfach nicht richtig glauben. Manchmal beobachte ich Eyad und versuche, seine Gedanken zu lesen, aber er ist eine harte Nuss. Habe ich schon von seinen weißen Zähnen erzählt? Umwerfend. Stellen Sie sich vor, ich verliebte mich in ihn. Was würden die Leute denken? Er ist wirklich ein Süßer, aber egal, wie man es dreht und wendet, die Experten sagen, du kannst ihm nicht vollständig trauen.
    BLEIB WACHSAM, BLEIB SICHER lautet die neue Parole. Die ganze Schule ist bedeckt damit, in roter Schrift. Jedes Mal, wenn wir eine Terrorübung haben, schiele ich heimlich zu Eyad, um seine Reaktion zu sehen. Aber ihm steht die Angst genauso ins Gesicht geschrieben wie allen anderen.
    Manchmal denke ich an die Jungen und Mädchen mit Sprengstoffgürteln an den Körpern. Selbstmordkinder, die sich für ihre Sache opfern. Das wird zu einem großen Problem dort drüben, in einem dieser Länder. Erst vorige Woche hat es eine Fünfzehnjährige getan. Sie riss achtundzwanzig Menschen mit sich in den Tod. Ich habe Anna davon erzählt, und Anna sagte: «Was für eine Verschwendung.»
    «Verschwendung von was?», fragte ich, und Anna sagte: «Von Leben.»
    «Wessen Leben?», wollte ich wissen, und sie sagte: «Des Mädchens.»
    «Und was ist mit den Opfern?», fragte ich.
    «Die auch», sagte Anna.
    «Warum tun die das überhaupt? So was Sinnloses», sagte sie.
    «Du verstehst das nicht», sagte ich. «Das sind Eiferer.»
    «Was sind Eiferer?», fragte sie, und ich erklärte ihr, das seien Menschen mit Leidenschaft.
    «Ich mag sie nicht», sagte Anna.
    «Na ja», sagte ich, «sie dich auch nicht. Sie mögen keinen von uns.»
    «Was heißt mögen?», sagte Anna. «Sollen wir etwa alle mit Tüchern überm Kopf herumlaufen?»
    Ich lachte, als sie das sagte, obwohl mir klar war, dass sie alles durcheinanderbrachte. Selbstmordkinder sind was anderes als Leute mit Tüchern überm Kopf. Inzwischen gibt es mehr Problemländer als nur ein einziges. Manchmal komme sogar ich schon durcheinander.
    «Tücher um den Kopf sind echt schick, findest du nicht?», sagte sie.
    «Unbedingt», sagte ich, schnappte meine Jacke und wickelte sie mir so um den Kopf, dass nur die Augen herauslugten.
    «So?», fragte ich und machte krächzende Geräusche wie eine Fremdsprache aus dem Hühnerstall. Wir kriegten uns kaum noch ein vor Lachen. Anna ließ sich aufs Bett fallen, wo sich der Kater gerade einer schamlosen Wäsche unterzog. Er leckte sich direkt zwischen den Beinen. Es hörte sich an wie saftiges Schmatzen.
    «Manchmal habe ich Angst um meinen Bruder», sagte Anna.
    «Ihm wird schon nichts passieren», sagte ich, obwohl ich es selbst nicht richtig glaubte. Links und rechts sterben Soldaten, und manche kommen mit einem fehlenden Arm oder Bein zurück.
    Anna bat mich, für ihn zu beten, und ich versprach es ihr. Ich sagte ihr nicht, dass ich keine Gebete kenne. Ich hoffte, eins im Internet zu finden.
    Später fragte ich sie, ob sie bereit wäre, für etwas zu sterben, woran sie glaube.
    Sie sagte Nein.
    Dann fragte ich, ob sie sterben würde, um ein anderes Leben zu retten.
    «Wessen Leben?», fragte sie.
    Meines, dachte ich im Stillen.
    «Das deiner Mutter», sagte ich.
    «Dieses Spiel will ich nicht spielen», sagte sie, stand vom Bett auf und guckte aus dem Fenster.
    Ich stellte mich neben sie. Wir starrten einfach nach draußen, irgendwie auf etwas wartend, aber nichts, was man genau dingfest machen konnte.
    «Du musst stark sein», sagte ich.
    Ich legte meine Hand auf ihre Schulter, und das war genau das Richtige. Der Kater auf dem Bett leckte sich immer noch, ebenso geräuschvoll wie zuvor. Was für ein Schleckermaul!
    Haben Sie bemerkt, wie am Ende alles auf Tiere hinausläuft? Das ist neuerdings Thema Nummer eins in meinem Kopf. Tiere. Nicht nur Katzen und Hunde, sondern auch Terroristen oder Jungen auf Mädchen, ja sogar die eigene Mutter, wenn sie auf allen vieren über den Küchenboden kriecht. Ich konnte es

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