Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
liebsten Tiere der Welt. Es waren ihre langen Köpfe, die mir Angst machten. Und dann erst die Zähne, das war noch mal ein Thema für sich. Und überhaupt, diese seltsame Art, wie ihre Mäuler zuckten und sich beim Fressen hin und her schoben, irgendwie kamen die mir nicht ganz zurechnungsfähig vor.
    Ma zeigte auf einen großen Braunen und sagte, der sei bestimmt genau richtig für mich. «Geh ruhig hin», sagte sie. «Du kannst ihn streicheln.»
    Ich hob den Kopf und schaute ihm in die Augen, die ziemlich klug aussahen. Als ich ihn anfasste, machte sein Schwanz eine Bewegung, die mich an eine Königin erinnerte. Dann warf er den Kopf hoch, blies Luft aus den Nüstern, und ich rannte weg. Ma lachte. «Er ist nur aufgeregt», sagte sie. «Er mag dich, Mathilda.»
    Ma lächelte, und ihre Wangen waren ganz rot von der Kälte draußen.
    «Warum reitest du ihn nicht zuerst?», sagte ich.
    Und tatsächlich, sie setzte sich auf das braune Pferd und winkte mir von oben zu. Ich hatte Ma nie reiten sehen, obwohl ich tausend Geschichten kannte. Von Sprüngen über Zäune und von all den blauen Schleifen und Pokalen, die jetzt in Kisten unten im Kellerstehen, aber früher, dort, wo Ma aufgewachsen war, rund um ihr ganzes Zimmer an den Wänden hingen. So heißt es jedenfalls.
    Helene ritt auch. Sie hatte es erst einmal gemacht, aber sie war ein Naturtalent. Ihr Körper wusste genau, was er zu tun hatte. Sie kam auf einem Schimmel zu Ma geritten, und ab ging’s bis zu ein paar Bäumen in der Ferne, die ungefähr zehn Zentimeter groß erschienen. Die beiden hätten Schwestern und ich die Mutter sein können, so stolz war ich auf sie. Es war wirklich ein gelungener Tag.
    Über solche Sachen sollten wir reden. Um den Tisch sitzen und uns Geschichten über Helene erzählen, die schönsten Tage, an die wir uns erinnern. Das ist vermutlich eine Art, wie normale Menschen trauern.
    Ich dagegen wache ein Jahr nach dem Tod meiner Schwester auf und habe keine andere Wahl, als Helenes Kleid anzuziehen und wie ein Geist ins Wohnzimmer zu marschieren. Auch wenn es gemein ist, es ist die einzige Möglichkeit.
    Bei meinen ersten Stehversuchen heute Morgen war mir etwas schummerig. Auch jetzt schnaufe ich noch komisch wie ein Hund, wenn ich mich zu schnell bewege.
    Das Kleid liegt ausgebreitet auf meinem Bett. Es ist gelb. Buttergelb. Und der Rock hat grüne Stickereien. Ma wird sich an dieses Kleid erinnern. Es sieht ziemlich ungewöhnlich aus. Wie Musik schwirren die grünen Stickereien überall auf dem Gelb herum. Ein Junge hat es Helene geschenkt. Wer, hat sie nie verraten. Aber wenn ein Junge dir das erste Kleid schenkt, bedeutet das, du bist eine Frau. Als Helene in diesem Kleid nach unten kam, wussten wir alle, sie war nicht mehr dieselbe.
    Ma und Pa halten es wahrscheinlich für das Klügste, mich schlafen zu lassen. Vielleicht hoffen sie insgeheim, ich werde den ganzenTag krank im Bett bleiben und erst morgen aufwachen. Ich höre, dass unten der Fernseher läuft. Was seltsam ist, weil sie normalerweise vormittags nicht fernsehen. Erstaunlich, dass sie noch nicht einmal heraufgekommen sind, um
Guten Morgen
oder
Wie geht es dir?
zu sagen. Die ganze Nacht kommen und gehen sie wie Delfine, aber morgens sind es wieder Menschen. Bitte Abstand halten!
    Ich habe das Kleid schon halb an, muss es aber wieder ausziehen.
    Ich schließe die Zimmertür ab.
    Das Kleid liegt verknautscht am Boden, ich hebe es auf und streiche es auf dem Bett glatt. Ich reiße mir zwei Haare oben aus dem Kopf, nur als Atempause.
    Dann hole ich tief Luft und ziehe das Kleid endgültig an. Die Sonne strömt durchs Fenster, auch das ist ein Schlag ins Gesicht. Ich betrachte mich im Spiegel und verliere fast die Nerven. Nicht weil ich schrecklich, sondern weil ich gut aussehe. Das Kleid passt wie angegossen. Ich bürste mir die Haare. Ich kneife mich in die Wangen, um die Glut herauszuholen. Ich fühle mich fast wie eine Braut.
    Eigentlich bin ich fertig. Ich werde jetzt runtergehen, egal ob es die letzte Tat in meinem Leben ist. Ich küsse mich im Spiegel und erschrecke über meine kalten Lippen. Aber vielleicht sind nur die Lippen im Spiegel kalt. Unmöglich, das zu unterscheiden.

Dreizehn
    Ich kenne keine Gebete. Ich wüsste nicht einmal, wie ich anfangen sollte. Wenigstens eines hätte man mir beibringen können für Situationen wie diese.
    Ich ging nach unten, der erste Schritt.
    Ich ging hinunter, und das ganze Haus roch nach Zigaretten. Alles war ruhig außer dem

Weitere Kostenlose Bücher