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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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vielleicht der witzige Teil sein. Ich schielte zu der alten Dame neben mir, aber die hielt sich beide Hände vor den Mund und riss die Augen auf.
    Als ich den Blick wieder auf die Bühne lenkte, hatte es angefangen zu schneien. Es war künstlicher Schnee, aber gut gemacht, sogar besser als echter. Ziemlich erstaunlich. Lucy Mond schaute erst nach rechts und dann nach links, und plötzlich stieß sie einen Schrei aus. Den Schrei der Wilden.
    Als sie aufhörte zu schreien, glotzte sie ins Publikum. Sie glotzte mich direkt an. Ich saß in der dritten Reihe, ziemlich nahe. «Hilf mir», sagte sie in einem Ton, den ich nicht leiden konnte. Ich drehte mich um, aber weder Ma noch Pa waren irgendwo zu entdecken. Als ich mich wieder nach vorn wandte, glotzte Lucy immer noch.
    «Ich will nach Hause», sagte sie. Aber so, wie Behinderte sprechen. Sie weinte praktisch.
    Ich spürte die Hitze in mir aufsteigen, mir in den Nacken kriechen.
    Ich wandte mich der alten Dame zu. Sie machte eine Geste, als sollte ich aufstehen und etwas tun.
    «Das ist doch ein Theaterstück», sagte ich.
    Ich hatte keinen Schimmer, was zum Teufel da abging, es kam mir vor wie in einem Traum.
    Die alte Dame brachte ihren Mund an mein Ohr. «Publikumsbeteiligung», flüsterte sie.
    Lucy streckte ihre Hand nach mir aus.
    «Ich kenne den Text nicht», sagte ich. Das Feuer saß mir im Nacken. Sogar meine Kehle brannte.
    «Sei kein Spielverderber», sagte die alte Dame. Dabei schubste sie mich etwas.
    Ich sah Lucy an und schüttelte den Kopf. Alle Blicke spießten mich auf. Ich spürte, wie sich die Kekse in meinem Magen drehten. Endlich suchte sich Lucy jemand anderen, Gott sei Dank. Ein Mann in rotem Hemd erhob sich und ging die Stufen zur Bühnen hinauf. Die alte Dame schnalzte mit der Zunge, das galt mir. Leck mich am Arsch, sagte ich. Nur sagte ich es nicht wirklich, sondern inwendig, haha, genau wie ihr dämliches Lachen.
    Ich weiß nicht einmal, was der Mann im roten Hemd für Lucy tat, weil ich die Augen wieder abwandte, um Ma und Pa zu suchen. Aber als Nächstes hatte es aufgehört zu schneien, und Lucy küsste den Mann auf die Wange. Danke, sagte sie.
Hielen Tank
. Ich beobachtete den Mann, wie er lächelnd an seinen Platz ging, den künstlichen Schnee von den Schultern klopfend, als wäre er ein Held. Und als ich dann den Kopf zur Bühne drehte, waren alle Möbel wieder da, keine Ahnung, wie sie das gemacht haben. Zack!, stand Lucy unverändert mitten in ihrem Wohnzimmer. Joe und Judy spazierten herein, als wäre nichts gewesen, und das blöde Gequatsche ging von vorne los.
    An der Stelle erbrach ich mich über Mas leerem Sitz. Ich hielt den Kopf gesenkt, für alle Fälle. Jemand klopfte mir auf die Schulter. Aber es war keiner von den beiden. Es war die alte Dame.
    «Hier», sagte sie. Sie schob mir ein Taschentuch hin.
    «Wisch den Sitz ab», sagte sie.
    Nachdem ich mich wieder aufgerichtet hatte, wollte ich von dem Stück nichts mehr sehen. Ich schloss die Augen und zählte. Mein Gesicht fühlte sich an wie aufgelöst. Als endlich Schluss war, rannte ich den Gang hinunter, während alles klatschte. Ich merkte, dass ich das Taschentuch der alten Dame noch in der Hand hielt, und warf es auf den Boden. Ma und Pa standen an der Hintertür, ich wollte nach ihnen greifen, stürmte aber einfach vorbei.
    «He, he», sagte Pa, «nun mal langsam.»
    Ich rannte nach draußen. Es war kalt geworden, und der Wind peitschte ein paar Fahnen.
    «Sie haben uns nicht mehr reingelassen», sagte Pa.
    Ich sah Ma an.
    «Du hast es nicht gesehen?», fragte ich. Es machte mich wahnsinnig, dass sie nichts von alledem gesehen haben könnte, weder den Schnee noch das Schreien oder wie ich mich auf ihren Sitz erbrochen hatte.
    «Wir haben von hinten zugeschaut», sagte Pa.
    «Du darfst nicht einfach verschwinden», sagte ich.
    «Was redest du für dummes Zeug», sagte Ma.
    Pa fragte, was mit mir los sei.
    «Mir ist übel», sagte ich.
    Ma legte die Hand auf meine Stirn, aber das hatte nichts zu bedeuten. Höchstens eine Sekunde, dann zog sie die Hand wieder weg.
    «Fieber hast du nicht», sagte sie.
    «Woher willst du das wissen?», rief ich.
    Pa hustete. «Ich hole das Auto», sagte er.
    Ich starrte Ma so eindringlich an, wie ich nur konnte.
    «Ich dachte, es ginge um den Weltraum», sagte ich.
    Ma lachte. «Quatsch», sagte sie.
    Meine alten Gefühle kehrten zurück, und ich hasste sie mehr denn je.
    «Es war gut gespielt», sagte Ma.
    «Sabberschlabber», sagte

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