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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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paar von den Pillen ausprobiert, die ich Miss Olivera in der Schule aus dem Medizinschränkchen geklaut habe, mit der einzigen Wirkung, dass ich einmal einen richtigen und einmal einen halben Krampf bekam.
    Das Problem ist, dass man das Denken ab einem bestimmten Punkt nicht mehr abstellen kann, auch gegen den eigenen Willen. Ich schwöre, manchmal wünscht man sich nur noch, als Primitiver in die Dunkelheit zurückzukehren. Aber man kann es nicht, das ist das Problem mit der Evolution. Wenn du einmal ein kleines bisschen Wissen hast, kommt immer mehr dazu, es fliegt dich an wie Vögel eine Pizzakante. Manchmal erfahre ich Dinge, die ich lieber nicht gewusst hätte. War es etwa wirklich nötig, von Pas Zeitschriften zu wissen oder von Mas Flaschen, oder auch Dinge, die ich über meinen Körper weiß?
    Da sind zum Beispiel meine krummen Beine. Meine Knie haben einen Schlag nach innen, beinahe wie eine Missbildung. Ich habe nie etwas davon bemerkt, bis ich sie eines Tages mit Annas Beinen verglich und fast einen Herzinfarkt bekam. Ehrlich, manchmal wärees mir lieber, ich hätte gar keine Beine und dafür einen silbernen Rollstuhl. Das wäre ein echter Publikumsmagnet. Rollstühle sind wie ein Thron, den man nie verlässt, außer fürs Klo und zum Schlafen. In gewisser Weise finde ich das erhebend. Meiner Ansicht nach liegen die Leute ganz falsch mit dem, was an Rollstühlen so traurig sein soll.
    Natürlich hätte ich gern ein Paar künstlicher Beine dazu, damit ich zwischendurch umherspazieren könnte. Ich würde mit einem Jungen tanzen und dann meinen Rock hochziehen und ihm meine Plastikbeine zeigen, nur um zu sehen, wie er vor Schreck umfällt. Ich würde das mit hundert Jungen machen, bis ich den einen fände, der auf die Knie fiele und meine falschen Beine küsste. Daran könnte ich erkennen, dass er der Richtige ist. Ob Kevin es wohl tun würde?
    Natürlich könnte ich den Kuss nicht fühlen, weil ich da unten ja kein Gefühl hätte. Sogar wenn Kevin mich ins Bein bisse, würde ich es nicht fühlen. Ich könnte behaupten, es sei wunderbar oder es tue mir weh. Es wäre allein meine Sache, was ich fühlte oder nicht.
    Heute Abend treffe ich mich mit Kevin und Anna im Hof. Wir haben geplant, so leise wie möglich in den Keller zu schlüpfen, und dann komme, was da kommen mag. Der Keller ist im Augenblick meine einzige Wirklichkeit. Ich denke an nichts anderes. Ich habe Pa gesagt, dass ich bei Anna schlafe. Und Anna hat sich die Erlaubnis geholt, bei mir zu übernachten. Ich weiß nicht, was Kevin seiner Mutter erzählt hat, aber er hat sich sicher was Gutes einfallen lassen.
    Ich bin ehrlich ganz schön aufgeregt. Obwohl es bei dem Keller eigentlich um Schutz vor Terror geht, geht es auch um die Zukunft. Und in der Zukunft spielen andere Leute eine Rolle, nicht bloß Ma und Pa. Die können ruhig auf ihrem eigenen Planeten bleiben. Mitdenen bin ich ziemlich fertig. Der Keller ist die erste Phase meines neuen Lebens.
    Ich bin mir so gut wie sicher, dass Kevin und ich irgendwann Sex haben werden. Einmal, in der Sportstunde, habe ich Kevins Schenkel gesehen, die zwar dünn waren, aber mächtig beeindruckend. Allein vom Anschauen kribbelte es mir, als müsste ich pinkeln, aber pinkeln musste ich komischerweise überhaupt nicht. So soll es angeblich sein, wenn man sich von jemandem angezogen fühlt. Ich muss unbedingt mehr darüber erfahren, darum habe ich gestern die ganzen Ausdrucke von Helenes E-Mails rausgeholt und jede einzelne noch einmal gelesen. Nicht nur die aus dem Plüschbären, sondern auch andere, die sie in Büchern in ihrem Regal versteckt hatte, und einige, die ich in den Laschen eines zusammengeklappten Monopoly-Bretts hinter ihrem Schrank gefunden habe. Als ich diese E-Mails voriges Jahr zum erstenmal las, war mein Leben noch etwas vernebelt, und ich fürchte, ich habe nicht alles genau kapiert. Aber jetzt, wo ich wieder tipptopp in Form bin, sehe ich die Dinge ganz anders. Und ich kann Ihnen sagen, Helene hatte definitiv Sex, bevor sie starb. Je länger ich die E-Mails ihrer Freunde lese, umso mehr glaube ich, dass es wohl ziemlich oft war.
    Vor Louis gab es [email protected], [email protected],[email protected], [email protected], [email protected] und eine Reihe anderer. Die meisten dieser Jungen schrieben ihr in dem Jahr vor ihrem Tod. In den letzten Monaten war es nur noch Louis. Was mich umtreibt, ist, dass ich dachte, Sex müsse einen Menschen glücklich machen, aber bei Helene schien das nicht so

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