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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Gott, hilf mir! Dann ließ ich mich vornüberkippen, strampelte mit den Beinen und stieß das letzte Todesröcheln aus, ungefähr wie
kra-kkra-kkraaaaa-kkrrrr
. Als wir uns wieder einkriegten, hatten wir alle Tränen in den Augen.
    «Glaubst du, sie haben uns gehört?», flüstert Anna.
    «Nein», sage ich.
    «Und wenn, dann glauben sie sicher, es seien die Mäuse», sage ich.
    «Sind hier Mäuse?», fragt Anna, und das löst bei Kevin den nächsten Lachkrampf aus.
    Vorher, als Anna in den Hof kam, um sich mit mir zu treffen, war Kevin schon da. Sie warf mir einen bösen Blick zu und zog mich beiseite, um unter vier Augen zu reden. Sie sagte, mit
dem
ginge sie nicht in den Keller, worauf ich ihr geradeheraus sagte, sie habe keine Wahl, es gebe kein Zurück. Ich machte Augen wie ein teuflischer Hypnotiseur, einer, der den Willen lenkt.
    Und Kevin war schlau. Er merkte, dass es ein Problem gab, kam zu uns herüber und fragte Anna, ob er gehen solle. Anna war geleimt.
    «Ist mir egal», sagte sie. Sie schaute mich und dann wieder Kevin an. Sie steckte in der Klemme. Sie wollte nicht plötzlich die einzige Prüde in der Gruppe sein.
    «Wenn du willst, kannst du bleiben», sagte sie. Dann zupfte sie sich ihre Jacke zurecht wie Miss America im Freizeitdress.
    «Ich wusste nur eben nichts davon», sagte sie.
    Kevin hatte übrigens sein Haar runtergekämmt, und im Dunkeln war das Blau nicht so auffällig. Im Grunde sah er ganz normal aus. Er lächelte Anna an, aber kein bisschen gestellt oder so. Außerdem hat er große Zähne,
Klingeling-
weiß. Als ginge bei jedem Lächeln eine kleine Glocke los.
    Als er seine Tasche vom Rasen holte, sah Anna mich an, wie um zu sagen
du musst ja wissen, was du tust.
Ganz recht, gab ich mit meinem Blick zurück, denn ich weiß es wirklich. Ich weiß genau, was wir tun. Wir schaffen die Zukunft. Dazu gehören Leute, die in Kellern leben, um sich vor Bomben zu schützen. Und wenn das Ende der Welt gekommen ist, wird der einzige Neuanfang von den Jungen und Mädchen im Untergrund ausgehen. Eines Tages werden wir herauskriechen ins Sonnenlicht, falls es noch eine Sonne gibt, und ganz von vorn beginnen. Nichts wird sein. Alles auf der Welt muss neu erfunden werden.

    Nach dem Lachanfall sind wir eine Weile ruhig. Ich teile Decken und Kissen aus, und jeder richtet sich sein Plätzchen ein. Anna und ich nahe beieinander, Kevin in angemessener Entfernung. Das Bettzeug ist teilweise uralt, aus der Zeit, als ich klein war. Auf einer Garnitur sind lauter Häschen. Etwas peinlich, aber zum Glück macht niemand eine dumme Bemerkung. Ich gebe Kevin die Laken mit dem Sonnensystem, Anna bekommt die einfarbig blauen, und dieHäschen behalte ich für mich. Während wir unsere Betten machen, fühle ich mich, als wären wir die Stars eines Films über Soldaten im Krieg. Ich wäre auch die Regisseurin. Es wäre kein Schreckensfilm, eher einer über die Bindungen zwischen Menschen. Ein richtiger Wohlfühlfilm im Grunde.
    «Ist jemand hungrig?», frage ich und schiebe die Süßigkeiten in die Mitte.
    «Ich habe auch was mitgebracht», sagt Kevin. Er nimmt seine Tasche und zieht drei Flaschen Bier heraus. Anna sieht mich an wie die Mutter Gottes, aber ich ignoriere sie.
    «Nur drei?», frage ich.
    «Es gibt Nachschub», sagt Kevin.
    «Ich trinke nicht», bremst Anna ihn aus.
    «Ein Bier wird dir nicht schaden», sage ich.
    «Probier es doch», sagt Kevin. Er macht die Flasche auf und hält sie Anna hin. Dabei schenkt er ihr sein schönstes Lächeln. «Es kommt aus Holland», sagt er.
    Anna nimmt es.
    «Du musst es ja nicht austrinken», sagt Kevin.
    Das Bier schmeckt nicht gerade gut, aber ich glaube, darum geht es nicht. Der Kick ist, dass es einen nach einer Weile über den stumpfsinnigen Alltagssorgen schweben lässt. Der Keller fängt an zu glitzern wie ein Stückchen Himmel. Alles ist etwas besser, als man angenommen hat. Sogar die Häschenbezüge haben plötzlich was Geniales. Das Bier ist fast wie Dankbarkeit aus der Flasche. Ich frage mich, warum Wodka nicht das Gleiche bei Ma bewirkt.
    Ich gucke zu Anna, und sie schlürft ihr Bier wie ein zum Tode Verurteilter. Aus Spaß mache ich einen Schmollmund, aber sie reagiert nicht, wirft nur ihr Haar zurück. Auf einmal fängt Kevin wieder an zu lachen.
    «Was ist?», sage ich, und ohne jeden Grund bricht auch mein eigenes Lachen wieder aus.
    «Du siehst ulkig aus», sagt er.
    «Selber», sagt Anna. «Du siehst aus wie ein Fisch.»
    «Nicht ich, sie», sagt Kevin

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