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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Kraftrausch erfüllte mich.
    «Ich werde ihn töten», flüstere ich.
    Mein ganzes Haar ist weg. Jetzt ist es nur noch Fell.
    Von irgendwo kamen seltsame Geräusche, vielleicht aus meiner Kehle.
    «Ich werde ihn töten», sage ich zu mir selbst. Kevins Augen sehen mich im Spiegel an.
    «Wen?», fragt er.
    «Den Mann, der Helene geschubst hat», sage ich.
    Dann blicke ich auf und sehe Annas Augen. Schlagartig weiß ich, in meinem Glück habe ich das Falsche gesagt. Sie wendet sich verlegen von mir ab.
    «Nein», sage ich, «ich habe nur Spaß gemacht.»
    Es war, als wäre ich gerade aufgewacht und stünde nackt da.
    «Was redest du?», sagt Kevin. «Ist sie nicht gesprungen?»
    «Anna», sage ich, um sie auf meine Seite zu bringen, aber sie schüttelt nur den Kopf.
    «Du musst aufhören, das zu sagen.» Sie sieht mich mit ihren schönen blauen Augen an.
    «Nicht», sage ich, ihre Gedanken lesend.
    Aber dann passiert es. Ihr Gesicht wird eine Fratze.
    «Sie hat sich umgebracht, Mattie. Jeder weiß, dass sie sich umgebracht hat.»
    Ihre Stimme ist die Stimme des Baums.
    Niemand hat sie geschubst
, sagte der Baum.
Selbstmord
, sagte er, als redete er mit einer Behinderten, als wüsste ich nicht, was das blöde Wort bedeutet. Plötzlich fährt mir das große Messer wieder durch die Brust, genau wie beim ersten Mal, als wir es herausfanden.
    «Ich habe noch nie jemanden gekannt, der sich umgebracht hat», sagt Kevin, aber ich kann ihn schon nicht mehr sehen. Ich sehe nur noch meine Haare. Überall, auf mir selbst und auf dem Boden. Manche tanzen im Luftzug, der oben von der Treppe kommt.
    «Was machst du da?», fragt Anna.
    Ich versuche auf Knien, das Haar einzusammeln. Aber jedes Mal, wenn ich es aufheben will, rutscht es mir durch die Finger.
    «Ich mache sauber», sagt Kevin. «Ich fege es weg.»
    «Nein», sage ich, «lass es.»
    «Rühr es nicht an», sage ich.
    «Es ist doch nur Haar», sagt Anna. «Warum weinst du?»
    Aber ich weinte nicht. Ich machte etwas anderes. Etwas, was Tiere machen. Ich versuchte mich zu schützen. Außerdem konnte ich nicht mehr aufblicken. Es war besser, auf allen vieren zu bleiben wie ein Hund. Wenn ich schreie, denke ich, wird alles verschwinden. Wenn ich belle wie ein Hund.
    «Mathilda?», sagt Anna. Und ihre tapfere Hand streicht mir über den haarigen Rücken.

Vierundzwanzig
    Im Schlaf ist jeder Mensch ein Kind. Einmal habe ich Ma mit aufgesperrtem Mund gesehen, den Kopf nach hinten gekippt. Sie sah aus wie ein junger Vogel, der um Würmer bettelt. Seitdem frage ich mich, wie ich wohl aussehe, wenn ich im Land der Träume bin. Sehe ich besser oder schlechter aus als im wirklichen Leben? Aber wer weiß, ob ich überhaupt je wieder schlafen werde. Ich habe es nicht vor.
    Anna sieht anders aus mit geschlossenen Augen. Vollkommen, aber leer. Ganz klar, dass es die Augen sind, aus denen Anna ihren Vorteil zieht. Ohne diese Augen ist Anna nur eine halb gare Idee. Gegenüber, auf der anderen Seite, schläft Kevin tief und fest, ich höre es an seinem Atem. Die vereinzelten langen Haarsträhnen hängen ihm wie Lianen im Gesicht. Oben wie unten, die Welt schläft. Draußen pfeift der Wind ums Haus, er macht mich wahnsinnig.
Siiie siiie siiie. Sie ist eine Lügnerin.
    Leck mich doch, sage ich zu jedem, der es hören will.
    Manchmal taste ich mir über den Kopf. Die Borsten geben mir das Gefühl, näher bei Gott zu sein. Je näher man bei Gott ist, umso weiter ist man von den anderen Menschen entfernt. Außerdem ist es kalt hier unten. Wenn ich mir hinten an den Hals fasse, fühlt er sich an wie ein Eisklumpen. Ohne seine Haardecke ist er ganz nackt. Kennen Sie solche Momente, wenn man nicht mehr weiß, wo man ist? Mitten in der Nacht kommt es einem manchmal vor wie auf dem Mond. Die Nacht folgt auf den Tag, sagen die meisten. Aber manchmal kann ich nicht einschlafen, und dann ist es umgekehrt.
    Heute Abend habe ich die Sirenen nicht gehört, aber ich habe ansie gedacht. Auch der kleine Vampir ging mir durch den Sinn, dann die Leute in England, die an einer in Briefen verschickten Krankheit gestorben sind. Es soll irgendeine neue Krankheit sein, die Menschen in fließenden Brei verwandelt.
    Vor allem Helene lässt mich nicht schlafen. Die idiotische Wahrheit über ihren Tod. Es ist mehr als ein Jahr her, also komm endlich drüber weg, sage ich mir. Besten Dank, würde ich ja gerne, wenn ihr blöder Körper nicht im Weg stünde, und was soll ich tun, drauftreten? Drüber hinwegsehen? BLEIB

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