Mathilda Savitch - Roman
ein. Pa schüttelt den Kopf, und einmal angefangen, hört er nicht mehr auf.
«Gib mir das», sagt er und nimmt mir das Messer aus der Hand. Irgendwie lasse ich ihn gewähren.
«Du solltest nach Hause gehen», sagt Pa zu Kevin. Seine Stimme kling wie unter Sandsäcken begraben.
«Mr Savitch», fängt Kevin an, aber Pa schneidet ihm das Wort ab. «Geh nach Hause», wiederholt er, aber diesmal ist es kein Vorschlag.
Kevin packt seinen Krempel und rennt die Treppe hoch. Ich höre die Haustür knallen. Pa sieht mich an, das Messer in der Hand, und ich frage mich, ob er wohl jemals fähig wäre, mich zu töten.
«Wo ist Ma?», frage ich. Ich blicke die Treppe hinauf, suche einen weiteren Schatten in der Türöffnung.
«Pa», sage ich. «Wo ist sie?»
Aber er antwortet nicht, er schließt nur die Augen. Etwas in mir sagt, nimm seine Hand, und das tue ich. Ich packe die Hand, die kein Messer hält, und dann stehen wir lange einfach so da. Ichblicke wieder zur Türöffnung und sehe nicht mal einen Hund. Was ist los?, frage ich mich.
«Pa?» Ich ziehe ihn am Arm, aber er macht die Augen nicht auf.
«Pa?»
Teil Drei
Fünfundzwanzig
Sie werden es nicht glauben, aber Ma war sechzehn, als sie Pa kennenlernte. Pa sagt, sie sei so schüchtern gewesen, dass sie ihm nicht mal in die Augen sehen konnte, sie guckte immer auf den Boden. Nach dem, was Pa erzählt, musste man sich ganz tief bücken, um ihren Blick von unten zu erwischen, und wenn man das tat, lachte sie, und dann hatte man sie.
Pa rauchte damals Zigaretten. Er war achtzehn. Ihre Liebe schlug ein wie ein Blitz. Angeblich hat Pa seinem Vater einmal etwas Geld geklaut und Ma einen Pelzmantel gekauft, der aber dann gar nicht echt war und ihr nicht einmal richtig passte. Außerdem fand sie ihn ordinär. Schon damals hatte Ma einen ganz eigenen Geschmack. Sie gab Pa den Verlobungsring, den er ihr geschenkt hatte, wieder zurück, und dann fuhren sie zusammen fünfhundert Kilometer in ein besonders gutes Fachgeschäft, damit Ma sich genau den Ring aussuchen konnte, den sie haben wollte, in dem kleinen blauen Kästchen.
Ich habe tausend Geschichten gehört. Wie die von ihrem Honeymoon in dem Hotel oben auf einem Berg, und nachts war alles erleuchtet wie im Himmel, sagte Ma. Oh, und ihre erste Nacht dort, in dem Restaurant mit der goldenen Kuppel. Es gab Champagner, und dann wurde ihnen ein Schokoladenkuchen, ganz in Flammen, an den Tisch gebracht. Pa stand auf und sang ein Lied, und alle dachten, das ist das Leben. Die Leute sprachen eine Sprache, die sie nicht verstanden, außer in dieser Nacht, sagte Pa, da hätten Ma und er alles verstanden.
Es gibt schöne Dinge auf der Welt, und es gibt traurige Dinge,und wenn sie zusammenkommen, bilden sie einen Stern. Das Licht ist weit weg, und das Seltsamste ist, es befindet sich in deinem Inneren. Aber du kannst noch so lange suchen, den Stern selbst siehst du nie, du siehst nur seine Spiegelung auf einem See, der auch in dir drinnen ist. Als ich das dem Baum erzählte, guckte er mich an, als wäre ich vom Mond gefallen. Das Rad dreht sich, im Kreis, im Kreis, und wo es halten wird, wer weiß? Solche Sprüche sagen sie im Kasino, wo die Verliebten – unglaublich, aber wahr! – dreitausend Dollar gewannen. Ich frage mich, ob Ma bei der Rückkehr ins Hotel wohl nackt in die Badewanne gestiegen ist und Pa ihr die Eimer voller Geld reingeschüttet hat. Ich kann’s mir genau ausmalen. Ein Fünf-Sterne-Honeymoon in den schillerndsten Farben.
Damals hätte ich Pa sicher recht gegeben, dass sie die Richtige zum Heiraten sei. Aber hätte ich gewusst, was ich jetzt weiß, hätte ich ihn überredet, eine andere zu nehmen, eine Tänzerin oder eine Sängerin, vielleicht auch eine Polizistin. Jemanden, auf den man sich verlassen kann. Keinen Bücherwurm, keine, die einfach verschwindet. Wenn mich irgendjemand fragt, was meine Mutter macht, werde ich von jetzt an einfach sagen, sie sei ein weiblicher Houdini. Wäre es nicht großartig, so eine Mutter zu haben? Können Sie sich das vorstellen? Ich käme von der Schule nach Hause, und sie stünde auf dem Kopf in einem gläsernen Wasserkasten, am Üben. Ich würde ihr helfen wollen, aber ich müsste Vertrauen haben. Ihr zu helfen würde ihr alles kaputt machen. Ich müsste mich einfach gedulden, und nachher, wenn sie aus dem Wasser raus wäre, würde ich ihr ein Glas einschenken. Sie säße auf einem Stuhl, und ich würde ihr mit einem Handtuch die Haare trocken rubbeln.
Das war knapp
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