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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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rau.
    «Das ist gut», sagt er.
    «Ja, das ist gut, finde ich auch», rufe ich zu ihnen hinüber. Aber keiner von beiden sieht mich an.
    «Ich würde gehen, wenn ich könnte», sagt Kevin.
    «Auf jeden Fall», sagt er.
    Vielleicht wird er es eines Tages tun, denke ich. Und dann fällt mir glühend ein, das Baby in Annas Kinderwagen könnte ja von Kevin sein. Vielleicht ist er drüben im Kampfeinsatz, während Anna an der Straßenecke auf ihn wartet. In Wahrheit hätte ich die beiden nie zusammenbringen dürfen.
    Oben bellt Luke. Es ist fast wie Heulen. Unsere Blicke heben sich zur Decke. Man hört auch Stimmen, menschliche Stimmen. Einen Streit. Und dann platzt das Wort heraus.
Mathilda.
Es kommt aus der Frau.
    «Ist das deine Mutter?», fragt Kevin.
    Mathilda!
    «Weiß sie denn nicht, dass du bei mir bist?», fragt Anna.
    Eine Tür knallt, dann fällt mein Name irgendwo anders im Haus. Ich stehe auf und rühre im Schleimtopf, um mich abzulenken.
    «Antwortest du ihr?», fragt Anna.
    «Sie klingt wütend», sagt Kevin.
    «Na und?», sage ich.
    Als Anna etwas sagen will, schneide ich ihr das Wort ab, sie soll den Mund halten. Mein Ton bringt auch Kevin zum Schweigen. Beide sehen mich an, als hätten sie sich gerade daran erinnert, wessen Haus dies eigentlich ist, in wessen Keller sie sind. Luke gibt wieder Laut, dann knallt eine andere Tür, und das war’s, Ende der Vorstellung. Ma und Pa sind wieder still. Annas Hand ruht auf dem weißen Laken, das Helenes Zeug bedeckt, als wollte sie einen Zaubertrick vorführen. Als würde sie gleich mit einem Ruck das Laken wegziehen und alles verschwinden lassen.
    «Schneidet mir die Haare», sage ich.
    Anna und Kevin gucken mich an, als spräche ich eine unbekannte Sprache.
    «Jemand soll mir die Haare schneiden», sage ich.
    Die arme Anna steht ratlos da, aber Kevin, der gute alter Pionier, kommt mir zu Hilfe. «Ich mache es», sagt er, und ihm entschlüpft ein Lächeln, so schief wie das des Teufels.
    «Wo ist die Schere?», sagt er.

Dreiundzwanzig
    Ich schlürfe mein drittes Bier, während Kevins Hände mir durchs Haar fahren. Manchmal streifen seine Finger meinen Hals, und das Gefühl geht mir direkt runter in den Bauch. Ich frage mich, ob Pa deswegen alle paar Wochen zum Haareschneiden geht. Fast wie zu einer Prostituierten. Die elektrisierenden Finger hinten am Hals. Sonst hat Ma mir immer die Haare geschnitten. Früher, im Sommer, machte sie es draußen auf dem Rasen. Helene kam als Erste dran. Mein erstes Opfer, pflegte Ma zu sagen, wenn sie Helene das Betttuch um den Hals legte. Ma gab damals eine ziemlich gute verrückte Wissenschaftlerin ab.
    Aber bei einem Fremden ist das was anderes. Es ist gefährlicher. Nicht, dass Kevin mir unbedingt fremd wäre. Nur seine Finger kenne ich nicht so gut.
    «Wie kurz willst du es?», fragt er.
    «Kurz», sage ich. «Aber nicht zu kurz.»
    Er fängt langsam an, ein knisterndes Geräusch. Anna beobachtet uns, als begingen wir das Verbrechen des Jahrhunderts.
    «Warum machst du das?», fragt sie. «Dein Haar war fast schon wieder lang.»
    «Du bist die Nächste, wenn du willst», grinst Kevin sie an.
    «Weißt du überhaupt, was du tust?», fragt sie. «Du müsstest es erst feucht machen.»
    «Keine Sorge, bei dir wird’s schon feucht, versprochen», sagt er.
    Ich sehe, wie Anna das Blut in die Wangen schießt.
    «Wir werden sie anbinden», sage ich. «Anbinden und schneiden, bis sie kahl ist.»
    Anna rollt mit den Augen, aber die Angst, wir könnten es doch halbwegs ernst meinen, steht ihr ins Gesicht geschrieben. Kevin schnippelt jetzt drauflos wie der König von Hummerland.
    «Carol Benton hat einen neuen Haarschnitt», sagt Anna.
    «Wer?», sage ich. Bei dem Namen muss ich mich wohl verhört haben, denke ich.
    «So was mit roten Strähnen drin», sagt Anna.
    «Von wem redest du?», frage ich.
    «Carol Benton», wiederholt sie, diesmal aber lauter.
    Es war fast, als säße Carol Benton heimlich hinter einer Kiste hier im Keller. Es kam mir wie ein Trick vor, wie mit versteckten Kameras im Raum. Kennen Sie das Gefühl, dass jemand versucht, Ihre Reaktion zu filmen? Wird sie sich tierisch aufregen? Wird sie anfangen zu heulen? Solche Sachen meine ich.
    «Trink lieber dein Bier», sage ich so normal wie möglich.
    «Ist dir Carols Haar denn gar nicht aufgefallen?», sagt Anna mit einem bösen Glanz in den Augen. «Ich finde, es sieht gut aus.»
    «So gut wie bei deiner Mutter?», sage ich.
    «Was soll das heißen?», fragt

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