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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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sie.
    «Nichts», sage ich. «Ist nur interessant, ihre Art, das Haar wie einen Helm zu tragen.»
    «Das ist ein teurer Schnitt», sagt Anna.
    Ein Bild von Mrs McDougal schießt mir durch den Kopf.
    «Klecksemalerin», sage ich.
    «Was?», sagt Anna. Es hat nicht gefunkt, aber ich gebe keine Erklärung.
    Wieso streiten wir uns, frage ich mich. Wegen Kevin? Vielleicht ist es einfach die Langeweile der Gefangenschaft. Wenn man Tiere in einen Käfig sperrt, gehen sie manchmal aufeinander los. Ich habe ein Experiment darüber in einer Natursendung gesehen. Kevin hatsich in meinem Haar verloren und sagt gar nichts mehr. In der Stille hörte man nur noch
schnipp schnipp schnipp
seine Hummerschere klicken.
    «Es reicht», sagt Anna. «Mattie, es ist kurz genug.»
    Sie solle mir den Spiegel rüberrollen, sage ich mit einer Handbewegung zu dem großen alten Ankleidespiegel auf Rädern, der hinten in die Ecke geschoben ist.
    «Nicht gucken, bevor ich fertig bin», sagt Kevin.
    «Sie muss es sehen», sagt Anna, räumt ein paar Kisten aus dem Weg und rollt den verstaubten Riesenspiegel durch den Raum. Er ist größer als sie selbst, und da sie ihn von hinten herausschiebt, bewegt er sich wie magisch auf mich zu.
    Der Anblick meiner selbst ist ziemlich rätselhaft. Der Spiegel hängt leicht schaukelnd an Gelenken. Mein Gesicht schwingt auf und ab, als säße ich auf einer Wippe. Auch Kevin ist zu sehen, die glänzende Schere noch in der Hand. Ich erkenne mich kaum wieder.
    «Es ist ungleich», sagt Anna. Was gewaltig untertrieben ist. Auf der einen Seite hängt mein Haar in abgehackten Strähnen etwa bis über die Wange. Auf der anderen sieht es aus wie struppiges Fell.
    «Es ist ganz schief», platzt Anna heraus.
    «Mit Absicht, so soll es auch sein», sagt Kevin.
    «Was meinst du?», fragt er mich.
    «Das ist eine Verstümmelung.» Anna bleibt dabei. Das ist ihr Urteil, basta. Hätte sie einen Hammer, würde sie ihn Kevin sicher auf den Kopf schlagen.
    Ich gucke in den Spiegel und versuche mich zu konzentrieren. Aus irgendeinem Grund stelle ich mir vor, wie Ma auf die Knie fällt. Wie sie mich um Verzeihung bittet. Wenn man sich das Haar abschneidet und es richtig macht, kann das den Anfang eines ganz neuen Lebens bedeuten. Ich sehe Kevins Augen im Spiegel, kannseinen heimlichen Wunsch aber nicht herauslesen. Will er mich verstümmeln? Oder will er mich zu seiner Braut machen? Vielleicht ist es für ihn das Gleiche.
    «Schneid es kürzer», sage ich.
    Monster
ist das Wort, das ich im Sinn habe. Ich will ein Monster sein.
    «Mach das Ganze wie die linke Seite», sage ich. Die linke ist die Fellseite.
    «Mattie», sagt Anna, «bist du verrückt?» Plötzlich geht sie auf Kevin zu.
    «Nein», sagt sie in einem Ton, den ich noch nie von ihr gehört habe, und versucht, Kevin die Schere aus der Hand zu reißen. Anna, die Heldin, die mir zu Hilfe eilt. Aber Kevin ist schneller. Er weicht lachend zurück.
    «Schon gut», sage ich zu ihr. «Dann sehe ich eben aus wie Phunka.»
    «Ich hasse Phunka», sagt Anna.
    «Phunka ist klasse», sagt Kevin.
    Phunka, wenn Sie es nicht wissen sollten, ist eine Frau, die elektrische Geige spielt und eine Stimme hat wie Hunde und Katzen. Sie ist Afrikanerin. Sie hat ein neues Lied gegen den Krieg herausgebracht, aber im Radio wird es nicht gespielt. Kevin hat es im Internet entdeckt und mir eine Kopie gezogen.
    «Soll ich wirklich weitermachen?», fragt er.
    Ich nicke ihm im Spiegel zu. Und dann ich ziehe meinen Pulli aus, weil ich schwitze. Darunter trage ich ein ärmelloses Hemd. Als Kevin wieder anfängt zu schneiden, sehe ich das Haar auf meinen Körper fallen. Überall bleibt etwas hängen, an den Armen, an den Schultern und oben auf der Brust, als wäre ich ein Mann oder ein Tier. Anna verliert ihre ganze Macht. Sie sitzt einfach auf demBoden und schaut zu, wie es geschieht. Es war, als brächte mein Haareschneiden sie um. Ich nahm es als Zeichen ihrer Liebe. Ihr standen sogar Tränen in den Augen, und ich wollte sagen, mach dir nichts draus, Liebste. Ich wollte sie an die Bibelgeschichte von Samson und Delila erinnern, nur dass es bei mir umgekehrt war. Denn in Wahrheit wurde ich stärker und stärker, je kürzer Kevin mein Haar schnitt.
    Im Spiegel verwandelte ich mich in eine andere Person. Eine Gefangene oder eine japanische Nonne, und weil man seine Gedanken nicht immer unter Kontrolle hat, war ich plötzlich Anne im Konzentrationslager. Mein Herz pochte gegen die Wand. Ein unheimlicher

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