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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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immer derselbe Krieg, nur in verschiedenen Versionen. Oft passieren sie in Wüsten. Oft passieren sie mit Bärten und mit Familien in kleinen Betonhäusern und mit in Türmen knienden Männern und mit Frauen, die sich mit den Fäusten auf den Kopf schlagen, und ein großes Problem sind natürlich die durchgeknallten Kinder, die ihre Waffen praktisch in die Wiege gelegt bekommen. Ma und Pa waren immer große Protestler gegen die ganze Sache. In den alten Zeiten gingen sie demonstrieren und alles. Aber ehrlich gesagt, heute kümmernsie sich nicht mehr um die Welt. Nach der Sache mit Helene haben sie im Grunde aufgegeben.
    Aber eine Zeit lang waren sie richtige Friedenskämpfer. Meine Schwester auch. Ich glaube, man kann wirklich sagen, Helene hatte ein großes Herz. Sie kümmerte sich um vieles, nicht nur um den Frieden. Auch um Tiere und um Afrikaner und um Urwälder. Sie hatte Schilder oben in ihrem Zimmer, die sie mit bunten Filzstiften selbst malte, und ging dauernd zu Protestmärschen, auch nachdem Pa gesagt hatte, das sei vielleicht keine so gute Idee, weil sie anfingen, die Leute auf schwarze Listen zu setzen. Ein Lehrer vom College meiner Eltern wurde wegen seinem Rundfunkauftritt sogar festgenommen. Aber meine Schwester hatte ihren eigenen Kopf. Sie stand auf Petronella Peacock, die Sängerin. Ich mag die Peacock nicht, ihre Stimme ist mir zu weinerlich. Im Augenblick ist sie im Hungerstreik, gegen den Krieg. Ich kann mir genau vorstellen, wie Helene das Gleiche machen würde, wie sie eingeschlossen in ihrem Zimmer verhungern und die Tränen ihr von den Wangen fallen würden. Manchmal konnte man schwer sagen, ob sie schwach war oder stark. Das verwirrt mich immer noch.
    Ganz ehrlich, mir sind die alten Zeiten lieber. Vor dieser ganzen blöden Politik, bevor Helene so ernst wurde. Denn am Anfang, als wir beide klein waren, hörte das Lachen gar nicht wieder auf. Wir liefen mit rausgestrecktem Po und Schielaugen herum. Ich hatte ein paar spitzenmäßige Grimassen drauf. Helene lachte sich tot über meine Grimassen. Sie hielt sich den Bauch, als würde sie platzen. Es gibt kein schöneres Gefühl, als wenn man Leute zum Lachen bringen kann. Man kommt sich vor wie ein Zauberer. Heute kann ich nicht mal mehr selbst über meine eigenen Witze lachen. Wenn ich jetzt unseren alten Trick versuche, den Po rausstrecke und Schielaugen mache, fühlt es sich in mir meistens wie Weinen an.

Einunddreißig
    Fühl meine Stirn», sage ich. «Fühl meine Stirn, Pa.» Ich ziehe seine Hand an meine Stirn. «Ich glaube, ich habe vielleicht Fieber», erkläre ich.
    Er ist kaum zur Tür herein, da stürze ich mich schon auf ihn.
    «Was machst du denn hier?», fragt er. «Es ist nicht mal zwei Uhr.»
    «Die Schulschwester hat mich nach Hause geschickt.»
    «Lüg nicht», sagt er.
    «Tu ich nicht.» Ich sage ihm, er solle sich doch setzen, und frage, ob er etwas zu trinken mag. Ich kann die perfekte Gastgeberin sein, wenn ich mich etwas anstrenge. Ich bin einfach froh, dass er da ist.
    «Wo hast du denn diesen Mantel her?», fragt er.
    Ich gucke an mir runter und merke erst jetzt, dass ich immer noch das Meerschweinchen anhabe. Auch die Mütze ist noch auf meinem Kopf. «Ach», sage ich, «darum ist mir wohl so heiß.» Ich versuche, einen kleinen Witz daraus zu machen, aber es klappt nicht. Ich habe mein Gesicht nicht ganz unter Kontrolle.
    Ich ziehe meinen Mantel aus und Pa seinen. Wir setzen uns beide auf die Couch. Es ist, als hätten wir unser erstes Date. Augenkontakt gibt es wenig.
    «Ich habe mit ihr gesprochen», sagt er.
    «Mit wem?», frage ich.
    «Was zum Teufel glaubst du wohl?»
    Ich frage, ob sie bei ihrer Schwester sei, aber Pa guckt mich nur an, als wäre er verwirrt.
    «Bei Tante Marie», sage ich.
    «Nein», sagt Pa. «Wovon redest du?»
    «Die uns die Elfenmützen geschenkt hat», sage ich.
    «Marie ist tot», sagt er. «Das weißt du doch.»
    «Ich wusste nicht, dass sie tot ist», sage ich.
    «Vor fünf oder sechs Jahren», sagt Pa.
    «Das hat mir keiner gesagt», sage ich. Ich spüre, wie mir die Hitze in den Nacken schießt. Ich weiß, Tante Marie ist nicht das Problem, aber trotzdem, irgendjemand hätte es mir schließlich sagen können.
    «Du hast sie kaum gekannt», sagt Pa, als wäre das ein Trost. «Was regst du dich so auf?»
    «War ich auf der Beerdigung?», frage ich.
    «Ich weiß nicht mehr», sagt er. «Du warst ein Baby, Mathilda.»
    «Vor fünf oder sechs Jahren war ich kein Baby mehr», sage ich und

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