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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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ist fast wie Zauberei. Helene und ich haben all diese großen Bücher gelesen, als wir klein waren. Sie wurden uns gewissermaßen aufgezwungen, aber es war nicht gerade eine Folter, nicht ganz. Pa und Ma haben eine sehr gute Bibliothek. Die haben sie wirklich. Und angeblich hat Ma einige Geschichten geschrieben, als sie jünger war. Habe ich Ihnen nichts davon erzählt? Sie hat sie in Zeitschriften veröffentlicht, bevor sie Pa kennenlernte, und dann noch eine Weile, als sie frisch verheiratet war. Ich habe Ma einmal nach ihren Geschichten gefragt, aber sie sagte, von dem Zeug habe sie nichts mehr. Da sei nicht viel dran gewesen. Juvenilia, sagte sie. Das heißt Sachen, die man als Kind gemacht hat und die, sofern man kein Genie ist, meistens im Papierkorb landen.
    Ich komme
, schreibe ich ihm.
Ich komme zu dir nach Hause
. Ich tue einfach so, als wäre es eine Geschichte.
Morgen
, schreibe ich, und ich unterschreibe
Küsschen, H.
Ich kann mir nicht helfen.

    Außer der von Louis ist keine Nachricht gekommen. Ma hat auf die E-Mail, die ich ihr geschickt habe, nicht geantwortet. Die von Helene. Ich habe sie aber erst gestern abgeschickt, also hat sie siewahrscheinlich noch gar nicht gelesen. Wahrscheinlich fährt sie noch Auto. Sie hat eine Schwester, nicht allzu weit entfernt, aber ich bin mir sicher, dass Pa sie schon angerufen hat. Wir sind zwar nicht unbedingt das, was man eine eng verbundene Familie nennt, aber eine Schwester könnte trotzdem diejenige sein, zu der man fährt, wenn man in Schwierigkeiten ist. Mas Schwester heißt Marie. Vor langer Zeit hat sie uns von irgendwo Mützen mitgebracht, ich glaube aus Peru. Sie waren gestreift, wahnsinnig bunt, und mindestens eine Meile lang. Elfenmützen, sagte Helene. Unten an der Spitze hing ein weißer Bommel. Immer wenn wir sie aufsetzten, redeten wir mit quietschenden Piepsstimmen wie Alvin und die Chipmunks. Ich weiß nicht, warum niemand je ein Foto von uns beiden mit diesen seltsamen Mützen gemacht hat. Sie waren wirklich genial. Das Foto wäre urkomisch geworden. Ich frage mich, ob Anna und Carol Benton wohl irgendwo in der Schule sitzen und wieder eins ihrer berühmten Plauderstündchen halten. Sich schieflachen über meine blutige Nase, die mittlerweile, darauf kann ich mich verlassen, die Sensation des Tages ist.
    Ich gehe nach unten und hole mir ein Glas Milch. Ich mache den Fernseher an, wo irgendeine dieser bescheuerten Nachmittagssendungen läuft, Frauen, die über ihr Leben klagen. Mein Mann tut dies, mein Sohn tut jenes, bla bla bla. Warum springt ihr nicht von einer Brücke, wenn ihr eure Familien so hasst, würde ich ihnen am liebsten ins Gesicht schreien. Aber sie sind es nicht mal wert, dass ich meinen Atem an sie verschwende. Ich klicke mich zu irgendwelchen Nachrichten über den Krieg und den Terror durch. Sie haben wieder einen Mann geschnappt. Er hat irgendwie mit einer der Tragödien zu tun, aber ich finde nicht heraus mit welcher. Ob es das erste oder das zweite Attentat auf die Gebäude war, oder die Sache mit den verseuchten Briefen, oder die Oper oder die Subway.In meinem Kopf hat sich das alles vermischt. Eine Stimme im Fernsehen sagt etwas von einer Hinrichtung. Ma und Pa wollen nicht mehr, dass ich mir dieses Zeug angucke. Seit H.S.S.H. wacht Pa wie ein Habicht über meine Fernsehgewohnheiten. Glaubt er wirklich, Fernsehen wäre das Problem? Was ich dort sehe, ist nichts im Vergleich zu dem, was ich in meinem Kopf sehe. Ja, manchmal werden grauenhafte Sachen gezeigt. Aber die Wahrheit ist, damit kann ich umgehen. Ich bin in einer Zeit des Terrors aufgewachsen. Man gewöhnt sich daran. In der Schule sagen sie uns immer, wir sollten es sie oder unsere Eltern wissen lassen, wenn wir Schlafstörungen oder Ängste oder Albträume hätten. Natürlich habe ich die, aber aus eigenen Gründen. Nicht wegen irgendeinem blöden Krieg. Egal, ich würde sowieso nie zu unserer Krankenschwester in der Schule gehen. Mrs Melfino ist Italienerin und reagiert wie ein Pulverfass. Wenn du dir mit Papier in den kleinen Finger schneidest, würde sie wahrscheinlich sagen, Arm ab.
    Obwohl der letzte Terrorangriff ziemlich schlimm war, hat es in der Vergangenheit andere, noch schlimmere gegeben. Ich erinnere mich an Bruchstücke aus der Zeit, als ich noch klein war. Die Flugzeuge zum Beispiel. Und dann haben zu meinen Lebzeiten ja auch noch ganz schön viele Kriege stattgefunden, irgendwie bin ich mit dem Zählen nicht richtig nachgekommen. Im Grunde ist es

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