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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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rechne es ihm direkt vor seinem Gesicht an den Fingern vor.
    «Schon gut», sagt Pa. «Schon gut.»
    «Also, wo ist sie dann?»
    «Schrei nicht so», sagt er, dabei schreie ich gar nicht. Ich spreche nur deutlich. Jetzt legt Pa sich selbst die Hand auf die Stirn, als wäre er derjenige mit Fieber. Sein Gesicht wechselt die Farbe.
    «Sie ist in einem Hotel», sagt er.
    «Wo?»
    «Nördlich von hier», sagt er.
    «In den Bergen?»
    «Ich weiß nicht, wie der Ort heißt», sagt er.
    «Desmond?», frage ich.
    «Nein», sagt er. «O Gottogott Mathilda.» Dann wendet er sich voller Abscheu von mir ab. Eine Sekunde lang hat er das Gesicht eines Mörders. Ich glaube, Gewalt ist einfach überall, unter allem und jedem. Sogar in Vätern.
    «Du bist genau wie sie», sagt er kopfschüttelnd. Und ich weiß nicht, ob das ein Kompliment sein soll oder eine Beleidigung. Ich weiß nicht mal, von welcher
Sie
er spricht.
    «Ich komme mit», sage ich. «Pa, ich komme mit.»
    «Und, wo gehen wir hin?», sagt er.
    «Zu dem Hotel», sage ich.
    Pa sieht mich an und wischt mir die Tränen aus dem Gesicht. Er kann nicht anders.
    «Es wird alles gut», sagt er.
    «Lüg nicht», sage ich. «Was, wenn sie nicht wiederkommt?»
    «Du darfst sie ja nicht mal mehr anfassen», sage ich.
    Es ist, als hätte ich ihm einen Pfeil ins Herz geschossen. Sein Gesicht verschluckt den Schmerz, aber ich sehe ihn trotzdem. Mein erster Gedanke ist, wie ich den Pfeil wieder herausziehen, was ich sagen könnte, um rückgängig zu machen, was ich eben gesagt habe. Aber in Wirklichkeit macht man alles nur schlimmer, wenn man einen Pfeil wieder herauszieht. Am Ende stirbt einem die Person noch unter den Händen weg. Ich habe das bei Cowboys tausendmal gesehen.
    «Deine Mutter hat so ihre Stimmungen», sagt er leise. «Die habt ihr alle.» Er schnauft durch die Nase, als hätte er gerade den traurigsten Witz der Welt gehört. Armer Pa. Ich frage mich, wie es wohl die ganzen Jahre für ihn gewesen ist, in einem Haus mit lauter Mädchen. Ich frage mich, ob er nie Lust hatte, einfach wegzulaufen und all diese
Femmes fatales
zurückzulassen.
    «Wann gehst du?», frage ich ihn.
    «Ich will nur rauffahren und mit ihr reden», sagt er.
    «Nicht heute Abend», sage ich, aber er sagt: «Doch, heute Abend.»
    «Es regnet bestimmt», sage ich.
    «Und was hat das damit zu tun?», sagt Pa.
    «Du kannst mich nicht einfach hierlassen.»
    Er sagt, er werde Mrs Frisk anrufen, und ich sage, ich brauche keinen Babysitter. Außerdem erinnere ich ihn an die ganzen blöden Fahnen vor dem Haus von Mrs F.
    «Nur einen Abend», sagt er. Das sagen die Leute immer, und dann wird es eine Unendlichkeit. Ich frage mich, ob er jetzt auch verschwindet, Ma und Pa auf Nimmerwiedersehen in den Bergen. Er streckt die Hand aus und zieht mir die Mütze vom Kopf. Er streicht mir übers Gesicht, obwohl ich schon vor einer Ewigkeit aufgehört habe zu weinen.
    «Du hast bald Geburtstag», sagt er. Etwas verwirrend, diese Bemerkung, aber eigentlich hat er recht.
    «Was wünschst du dir?», fragt er. Irgendwie macht es mich nervös, über Geburtstage zu reden. Aber Pas Blick nagelt mich mit fest. Auf einmal kann er klarsehen, und ich wünsche mir fast, er würde wieder blind. «Komm schon», sagt er. «Was wünschst du dir?»
    «Ich weiß nicht», sage ich. «Nichts.»
    Eigentlich wollte ich sagen, eine Gasmaske. Die wünscht sich nämlich Kevin zum nächsten Geburtstag, hat er mir erzählt.
    «Ich brauche nichts», sage ich.
    Dann ist es still. Pa schaut auf den Boden und lächelt. Er lächelt wie ein Astronaut, der auf seine alte Heimat, die blaue Erde runterschaut. Es ist ein trauriges Lächeln, weil er nicht weiß, ob er je wieder zurückkommt.
    «Wie wär’s mit einem Bashful Baby?», fragt er.
    «Nein», sage ich. «Keine Puppen mehr. Das war vor tausend Jahren.»
    «Außerdem habe ich schon alle», erkläre ich.
    «Aber die Japanerin hast du nie bekommen», sagt er. «Wie hieß sie noch?»
    Ich kann es nicht fassen, dass er sich erinnert. Es ist tatsächlich die ganze blöde Wahrheit, die Japanerin war immer ausverkauft. Vor ein paar Jahren waren die Bashful Babys eine ziemlich heiße Sammlung, alle waren verrückt danach.
    «Ich bin nicht mehr so scharf darauf», sage ich.
    Aber Pa wartet weiter.
    «Vielleicht Fische», sage ich. «Ein Aquarium.»
    «Ihr beiden habt nie Fische gehabt», sagt er. Er meint Helene und mich. Und es stimmt. Wir hatten alles, nur keine Fische. Einen ganzen Zoo im Lauf der

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