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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Jahre. Mit Haustieren waren wir ziemlich verwöhnt. Wirklich. Wir hatten Kaninchen und Vögel und einen Frosch und Schildkröten und Hamster. Wir hatten Molche. Wir hatten sogar eine Venusfliegenfalle. Und natürlich Luke. Unser Ein und Alles.
    «Tinka», sage ich.
    «Was ist das?», fragt Pa.
    «So heißt sie», sage ich. «Die Japanerin.»
    «Aber Fische wären besser», sage ich.
    «Zu alt für Puppen, was?», sagt Pa.
    Ich zucke mit den Schultern, obwohl ich Ja meine.
    Plötzlich nimmt Pa meine Mütze und drückt sie mir wieder auf den Kopf.
    «Hasst du meine Haare?», frage ich.
    «Was für Haare?», sagt er. Und irgendwie lachen wir beide. Wir lachen wirklich, ein bisschen jedenfalls.

Zweiunddreißig
    Pferde rennen übers Land. Viel Staub und keine Menschen. Ganz wie in der Wüste. Die Pferde rennen dem Horizont entgegen, aber in Wirklichkeit ist es eine Klippe. Das erste Pferd geht über den Rand, und die anderen folgen. Eine Sekunde lang rennen sie in die Luft, eine Sekunde lang glaubt man, sie könnten fliegen. Aber dann fallen sie. Sie stürzen ab. Es sind mindestens hundert Pferde, vielleicht tausend.
    Ich weiß nicht, wo ich diesen Film gesehen habe oder ob ich ihn überhaupt gesehen habe. Als ich aufwachte, dachte ich, es sei ein Traum gewesen, aber von solchen Sachen träume ich normalerweise nicht. Und ein Film ist es, glaube ich, auch nicht, denn wer würde Pferden so etwas antun, nur um einen Film zu machen? In meiner Vorstellung ist es kein Computereffekt, sondern vollkommen real. Es ist wohl das Schlimmste, was ich je gesehen habe, solche Angst jagt es mir ein. Wenn ich es denn je gesehen habe. Ich habe das
Gefühl
, ich hätte es gesehen, ich weiß nur nicht
wo
.
    Als Pas Auto abfuhr, stand ich draußen auf der Treppe. Pa hob die Hand vom Steuer und winkte mir zu. Ich hätte schreien können, aber ich schluckte es einfach herunter. Ma ist Pas Frau, und das bedeutet mehr, als jemandes Mutter zu sein. Eine Mutter ist nur der Anfang, aber eine Frau ist dem Ende näher. Von einer Mutter hat man irgendwann die Nase voll, bei der Frau eines Mannes ist das etwas anderes. Vor allem, wenn sie die Liebe seines Lebens ist und er ihr versprochen hat, ewig bei ihr zu bleiben, was Pa sicher getan hat. Wenn ich mir eine einzige magische Fähigkeit wünschen dürfte, wäre es die, in die Köpfe anderer Leute zu sehen, wenigstensfür eine Sekunde, damit ich wüsste, was anderen wichtig ist, wen sie lieben und wen sie hassen. Vielleicht würde man manche Menschen anders behandeln, wenn man wüsste, wie es wirklich in ihren Herzen aussieht.
    Als ich Ma das letzte Mal gesehen habe, hat sie mir auch irgendwie gewinkt. Es war am Morgen vor dem Keller, Anna und ich saßen hinten im Hof auf den gelben Gartenstühlen. Ich bemerkte Ma, die uns aus dem Haus heraus beobachtete. Sie war oben, hinter einem Fenster. Es war ziemlich gruselig. Sie sah aus wie eine Behinderte, die man in eine Zelle gesperrt hat. Ihr Gesicht war vollkommen leer, ohne jeden Ausdruck. Sie hob die Hand, aber ich machte mir nicht die Mühe, zurückzuwinken. Ich wollte nicht, dass Anna sie sah.
    Die Krux ist, ich will, dass sie weggeht, aber dann will ich es auch wieder nicht. Wieder einer von diesen doppelten Gedanken, die allmählich ein echtes Problem werden. Was ist mit Sachen und ihrem Gegenteil? Liebe und Hass zum Beispiel. Manchmal sind sie so ineinander verschlungen, als würden sie miteinander schlafen. Es macht einen krank. Die Wahrheit ist, ich schäme mich für sie. So sehr, dass ich draußen, wo andere Leute sind, nicht mit ihr gesehen werden möchte. Und dass ich jedes Mal Angst habe, wenn ich Anna mit nach Hause bringe. Ich stelle mir immer vor, plötzlich käme Ma in ihrem blöden chinesischen Kimono ins Wohnzimmer, der, falls ich das noch nicht erwähnt habe, übrigens viel zu kurz ist. Und was, wenn sie betrunken ist oder wenn sie mit ihrer Zombienummer anfängt? Ich fürchte, sie könnte Anna so am Kopf berühren, wie sie es bei mir tut. Mit diesem seltsamen Ausdruck im Gesicht. Oder sie könnte Sachen sagen, die niemand hören will. Wie einmal, als Anna da war und Ma sie anlächelte und ihr sagte, wie wunderschön sie sei. Was für ein Gesicht, sagte Ma.
Was für ein Gesicht.
Wie kannsie so etwas vor mir sagen? Es der einen sagen und der anderen nicht? Genau das Gleiche, als ob sie die ganze Zeit mit Sie-wissen-schon reden würde. Auch Mütter spielen Spielchen. Glauben Sie nicht, Mütter wären da anders.
    Manchmal denke ich, man

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