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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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gestiegen. Alles, was ich sehen kann, ist ein Mantel, ein Hut. Bei dem Licht hier unten kann ich sein Gesicht nicht sehen. Ich kann nicht sehen, ob er jung ist oder alt, und ich warte nicht, bis ich es erkennen kann.Ich mache auf dem Absatz kehrt und renne in die andere Richtung zurück, ehe er mir auch nur irgendwie nahe kommt.
    Auf dem Weg nach Hause spürte ich bei jedem Schritt, wie er mir folgte. Schritt ist eigentlich nicht das richtige Wort, mit dem Wind im Gesicht und den tanzenden Bäumen fühlte sich das Gehen eher wie Schwimmen an. Ich versuchte schneller zu schwimmen, aber es ging nicht. Ich war irgendwie erschöpft. Als ich fast zu Hause war, sah ich mich schließlich um, aber der Mann war weg. Entweder das, oder er versteckte sich hinter einem Baum.
    Den Rest des Wegs ließ ich mir Zeit und ging durch Gärten und über Rasenflächen, um einen Blick in anderer Leute Fenster zu werfen. Das ist eine gute Möglichkeit, Sachen aus dem Kopf zu bekommen. Was in den Häusern anderer Leute passiert, ist für mich immer eine große Frage. Ich weiß, wahrscheinlich passiert alles, von Sexualverbrechen bis zu Weihnachtsliedern, aber manchmal möchte man doch gern den Beweis haben.
    Ich gehe bei Anna vorbei, ihr Haus ist weiß und hat ein nachgemachtes Türmchen. Es ist praktisch ein Schloss. Ziemlich viele Sträucher drum herum. Gepflegt, würde man sagen. Es ist einer von den Orten, die wunderschön aussehen, wenn es schneit. Ganz toll, wirklich. Manchmal, wenn ich bei Anna bin und ihre Eltern da sind, versuche ich mich für ein paar Sekunden unsichtbar zu machen, damit ich sie beobachten kann, um zu sehen, wie andere Familien sind. Wenn ich aufs Klo gehe, bleibe ich länger drin und lausche, was sie zueinander sagen. Offensichtlich ist, dass Mr und Mrs McDougal ihre Tochter lieben. Sie vergöttern sie. Anna ist das, was man ihren ganzen Stolz nennen würde. Zwischendurch nimmt Mr McDougal sie immer noch auf den Arm. Er wirbelt sie herum und setzt sie an einer anderen Stelle wieder ab wie eine Schachfigur. Ich glaube, das ist so eine Art Spiel zwischen ihnen, wahrscheinlichetwas, das sie immer gemacht haben, als sie klein war. Und obwohl Anna jetzt viel zu groß dafür ist, scheint es sie nicht zu stören. Manchmal lacht sie sogar.
    Wenn ich Annas Haus ansehe, kann ich es mir nicht in Flammen oder als Trümmerhaufen vorstellen. Ich kann mir die drei nicht vorstellen, wie sie den Schutt nach einem alten Foto oder einem silbernen Babylöffel durchsuchen. Egal, wie ich mich anstrenge, das Haus in Stücke zu zerbrechen, das ganze Ding hält eisern zusammen. Und ich glaube, es kann sogar meine Gedanken hören, denn während ich da stehe und das perfekte weiße Haus anstarre, grummelt es mich an wie ein Eisbär.

Dreißig
    Luke liegt an der Hintertür wie das traurigste Häufchen Elend, das die Welt je gesehen hat. Er hebt die Augen zu mir, als hätte er es einem Heiligenbild abgeguckt. Ich frage mich, ob er manchmal von einem anderen Leben träumt. Von den möglichen Leben, die er hätte haben können. Als freilaufender Hühnerschreck auf einer großen Farm. Oder wild in den Wäldern, vielleicht auch mit einem Schlafplatz auf den Klippen, wo er näher am Mond wäre, zu dem alle Hunde ein besonderes Verhältnis haben. Der Mond ist wie ihr Oberherrchen in einem Gruselfilm, aber gruselig nur für die Menschen. Für die Hunde ist es eine Liebesgeschichte. Ich frage mich, wie glücklich er wohl all diese Jahre war, eingeschlossen in einem Haus, mit nichts als Menschen und endlosen Leckerlis.
    Ein Glück, dass er mich hat, um ihn daran zu erinnern, was er für ein Löwe ist. Ich habe es noch vor Augen, es ist nicht allzu lange her, wie Pa und ich von einer Runde mit Luke zurückkamen und Ma zur Begrüßung vor der Tür erschien. Sie hatte ihre Schürze mit den Kirschen an und streifte sich die nassen Hände an den Kirschen ab. Sie sah schön aus, wie eine ganz normale Hausfrau. Sie sah aus, als könnte sie irgendjemandes Mutter sein, sogar meine. Als ich sie sah, schlug mein Herz höher, ich war ganz aufgeregt. Ich machte Luke von der Leine los und rannte händeklatschend über den Rasen. Luke sprang hinter mir her und schmiss mich einfach um. Hilfe, schrie ich, als wäre ich von einem Löwen angefallen worden. Aber niemand lachte, wie es bei meiner Nummer Luke-der-Löwe-greift-Mathilda-im-Dschungel-an immer dazugehört hatte. Die Nummer ist uralt, aber ich finde sie immer noch komisch. Luke hatte michganz unter sich und

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