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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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sollte sie einsperren, und nicht nur in einem Raum mit dem Baum, sondern mit Riemen und Ketten und einem Pflaster auf dem Mund. Du willst nicht, dass deine Mutter wie eine Schlampe durchs Haus läuft oder deiner Freundin an den Kopf fasst oder dich mit leerem Gesicht aus einem Fenster anstarrt. Das ist unnatürlich.
    Noch schlimmer wird es dadurch, dass ich in alten Zeiten fast stolz darauf sein konnte, so eine Mutter wie sie zu haben, vor allem, wenn sie mit ihrem alten blauen Auto zur Schule kam, um mich abzuholen. Wenn es warm war, klappte sie das Verdeck runter, und als Nächstes holten wir Helene ab, und dann fuhren wir drei mit fliegenden Haaren wie Meerjungfrauen nach Hause. Manchmal denke ich an solche Sachen und habe sie so lieb, dass ich mir auch die letzten Haare einzeln aus dem Kopf reißen würde, um es zu beweisen. Wirklich wahr, man darf nicht zurückblicken, das ist die einzige Möglichkeit, erwachsen zu werden. Man muss zu seiner Sache stehen. Und meine Sache heißt: Viel Glück und Tschüss!
    «Komm her, setz dich hin», sagt Mrs Frisk. «Was starrst du da mit solchen Augen?»
    Ich drehe mich vom Fenster weg, und Mrs Frisk sitzt mit einem Buch in dem großen Sessel. Pas Sessel. Luke liegt ihr zu Füßen. Sie sieht ganz harmlos aus, aber in Wirklichkeit ist sie eine Lehrerin im Ruhestand, das macht mich immer etwas misstrauisch. In dieser Stadt wimmelt es nur so von Lehrern. Nach den Kirchen sind Schulen die große Attraktion hier. Jedes Dorf in der Umgebung hat sein kleines College oder Internat. Drüben in Lackton gibt es einePriesterschule. Und nicht allzu weit entfernt sogar eine Sonderschule, wie eine Art Farm für Taube.
    «Willst du nicht deine Hausaufgaben machen?», fragt Mrs Frisk. Sie sagt, wir könnten sie auch gern zusammen machen. Ich bin mir sicher, sie täte nichts lieber als das. Hausaufgaben wären genau das richtige Fressen für sie. Wahrscheinlich hat sie sich einen Rotstift in den BH gesteckt. Das würde ich ihr glatt zutrauen. So sind diese Leute eben. Ihr ganzes Leben lang nur dafür da, einem Fehler anzustreichen, vor allem in Grammatik. Sie wollen, dass alle wie Roboter klingen. Und alles, worüber sie reden wollen, ist Schule. Sonst haben sie nichts im Kopf. Was machst du gerade in der Schule?, ist immer die große Frage. Was lernst du? Was liest du? Lehrer sind sehr engstirnig. Fast etwas zurückgeblieben. Wenn ich dem Kind einen Namen geben dürfte, ich würde es nicht Akademie nennen, eher Kakademie. Wirklich. Das ist kein Schlemmen und nackt im Grünen plaudern wie im alten Griechenland. Das sind muffige Räume und langweilige Bücher, die stinken wie aus dem Meer gefischt. Was schnüffelst du so an deinem Buch?, sagte Mrs LaSalle einmal. Ich hatte gerade ein nagelneues Naturkundebuch bekommen, und ich schwöre bei Gott, es roch wie ein Thunfischsandwich. Ich musste fast kotzen.
    Und ich erinnere mich, wie einmal die gute alte Joycie Andrews zum Babysitten bei mir und Helene war und uns erzählte, sie ginge auf eine Schiffsreise. Ich war ziemlich erstaunt über diese Abenteuerlust einer achtzigjährigen ehemaligen Professorin, aber dann erzählte sie, das Schiff sei eine Schule. Man glaubt es nicht! Mit Unterricht und allem, sieben Tage die Woche. Und was gibt es auf dem Schiff zu essen?, fragte Helene. Bücher? Nein, sagte die gute alte Joycie, es gibt richtiges Essen. Sie hatte wirklich kein bisschen Sinn für Humor. Helene und ich machten uns fast in die Hose,und sie sah uns an, als wären wir die Behinderten. Aber wir mochten Mrs Andrews, verstehen Sie mich nicht falsch. Sie sagte immer, nennt mich Joycie, also taten wir es. Sie war ein ziemlich moderner Typ. Und sie hatte ein gutes Gesicht für eine alte Dame. Nicht so verschrumpelt, wie manche es werden. Man wünschte ihr einfach, sie hätte ein Schiff nach Frankreich oder zu den Bahamas oder sonst wohin genommen. Ein letzter Paukenschlag, bevor sie starb.
    Manchmal wünsche ich mir nur noch, man könnte wirklich etwas lernen. Etwas Richtiges. Was einem hilft, mit anderen zu reden. Das meiste Zeug, das man in Büchern findet, ist einfach Schrott. Jemand wie Jane Austen kann einem ein bisschen was sagen, aber Romane sind eine andere Geschichte. Und außerdem sind sie nicht das, was man in der Schule reingestopft bekommt. In der Schule geht es mehr um Wissen. Mathe und Jahreszahlen und Schiffsnamen. Und wen interessiert schon der Cotton-Gin-Erfinder Eli Whitney? Man lernt nichts darüber, wie man einen Sinn aus

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