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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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aber das Dumme ist, man sieht ihr an, wie sie sich zusammenreißen muss. Sie guckt wieder auf die Uhr. «Ja oder nein?», sagt sie.
    Ich weiß nicht mal, wie mir geschieht. Ich steige ein, hinten. Man spürt die dicke Luft. Anna sitzt vorne. Sie wirft mir einen kurzen Blick zu und dreht sich wieder um. Es würde mich nicht wundern, wenn sie mich zur Polizei brächten. Niemand spricht während der Fahrt. Eine Strähne von Annas Haar hängt über ihre Lehne, und ich konzentriere meine ganze Aufmerksamkeit darauf. Ein Glück, dass die Mütze mein eigenes Haar bedeckt und ich das Meerschweinchennicht angezogen habe. Ich trage meine blaue Matrosenjacke und habe sogar Strümpfe an. Es sind ziemlich schicke Sachen, aber trotzdem fühle ich mich nicht vorzeigbar. Das Auto gleitet durch den Weltraum. Es war, als führen wir zu einer Beerdigung. Ich wollte etwas sagen, aber ich konnte an nichts denken. Draußen wurde alles klein und kleiner, puppenstubenähnlich, und ich war der Riese auf dem Rücksitz, furchterregend, mit Hörnern, die mir aus dem Kopf wuchsen.
    Als wir in die Straße vor der Schule einbiegen, fährt Mrs McDougal langsamer, wegen all der Kinder. Ich sehe Leute, die ich kenne, aber in Wirklichkeit kenne ich sie gar nicht. Ich bin froh, dass das Auto dunkle Scheiben hat. Wir halten am Bordstein, aber niemand rührt sich. Annas Kopf bleibt stur nach vorn gerichtet. Schließlich dreht Mrs McDougal sich zu mir um. Sie sieht mich an, gut und streng, aber es fühlt sich nicht völlig unecht an.
    «Ich habe angefangen, in die Kirche zu gehen», platze ich heraus.
    Mrs McDougal nickt, und zugleich wirft Anna mir einen argwöhnischen Blick zu.
    «Ich lüge nicht», sage ich. Ich weiß, dass Mrs McDougal an Jesus glaubt. Ich weiß, dass er ein wichtiger Teil ihres Lebens ist. Und ich weiß, sie hat ihn auch in Anna eingepflanzt.
    «Du solltest keine Geschichten über deine Schwester erfinden», sagt Mrs McDougal. Als sie das sagt, guckt Anna beschämt auf den Boden. Ich glaube, sie erzählt ihrer Mutter alles. Am liebsten würde ich sofort etwas von Kevin sagen, weil ich wetten möchte, das ist eine Kleinigkeit, die sie zufällig vergessen hat.
    «Ich weiß, ich muss mich um meine Seele kümmern», sage ich. Das ist hauptsächlich für Anna bestimmt.
    «Ja, das musst du», sagt Mrs McDougal.
    «Ich weiß», sage ich. Und dann ist Mrs M diejenige, die aussieht, als müsste sie sich in den Arm zwicken, um die Schmach der Tränen aufzuhalten.
    «Also gut», sagt sie. «Ihr wollt ja nicht zu spät kommen.» Sie wendet sich Anna zu und gibt ihr einen Kuss. «Ich liebe dich», sagt sie.
Ich liebe dich.
Das hört sich komisch an. Aber ich glaube, für manche Leute heißt das einfach nur auf Wiedersehen.

Fünfunddreißig
    Mein Bruder kommt nach Hause», ist das Erste, was sie sagt. Wir stehen schon eine Weile auf dem Bürgersteig vor der Schule und schweigen uns an, die Hände in den Taschen.
    Na und?, würde ich am liebsten sagen. Aus irgendeinem Grund macht es mich wütend, dass ihr Bruder nach Hause kommt.
    «Wann?», frage ich. «Wann ist der große Tag?»
    «In zwei Wochen», sagt sie.
    «Geht es ihm gut?», sage ich. «Alles noch dran?»
    Sie kneift die Augen zusammen. Blaue Eiswürfel. «Ich dachte, du würdest dich freuen», sagt sie, und ich frage sie: «Warum? Warum sollte ich mich freuen?»
    Bleib ruhig, sage ich zu mir selbst, bau jetzt bloß keinen Mist.
    «Was guckst du so?», fragt Anna.
    «Nichts», sage ich. Aber in Wahrheit habe ich die Zahlen auf einem Nummernschild zusammengezählt. Das mache ich manchmal so, um zu sehen, wie es um mein Glück steht.
    «Warum bist du
mir
böse?», fragt Anna. «Ich habe da unten nichts
getan
.» An der Art, wie sie es flüsternd sagt, merke ich, dass sie von Kevin spricht.
    «Liebst du ihn?», frage ich.
    «Was?», sagt sie. «Bist du verrückt geworden?»
    Ich sage ihr, ich hätte sie mit Carol Benton reden sehen.
    «Hast du jetzt vor, eine Hure zu werden?», sage ich.
    Sie will gehen, aber ich packe sie am Arm wie beim Fiesling spielen. «Eingebildete Zicke», sage ich. «Glaubst du etwa, du wärst zu gut für mich?»
    «Mattie», sagt sie. «Hör auf. Was machst du?» Sie glaubt, es wäre ich, Mathilda, die sie am Arm packt. Sie erinnert sich nicht an das Spiel.
    «Fiesling», sage ich.
    Sie reißt sich los und richtet sich zu ihrer vollen Größe auf. Was macht es schon, wenn sie mir über den Kopf wächst. Hier bin ich immer noch der Riese.
    «Ich habe dich gesehen»,

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