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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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denn gerade?», fragt sie, und ich sage, Herbstprojekte. Ich sage, dass ich ein Vogelskelett mache. Mit Zahnstochern.
    «Das klingt schwierig», sagt sie.
    «Ist es auch», sage ich. «Wirklich.»
    Man kann den Leuten erzählen, was man will, wenn man es richtig rüberbringt, glauben sie einem alles. Es ist schon erstaunlich. Sie wollen einem glauben, vor allem, wenn man ein Kind ist. Sie können kaum anders.
    «Ich muss zu meiner Freundin Anna», sage ich zu Mrs Frisk. «Wir machen das Projekt zusammen.»
    «Anna McDougal», sage ich, nur für den Fall, dass sie glaubt, ich meinte eine andere Anna. «Wir sind beste Freundinnen», sage ich.
    Mrs Frisk sitzt mit mir am Tisch und isst ihr Ei in den kleinsten Häppchen, die ich je gesehen habe. Ziemlich überraschend für jemanden mit so großen Zähnen. Man hätte eher erwartet, dass sie richtig reinhaut.
    «Wie schmeckt’s?», fragt sie, und ich muss zugeben, das Ei ist echt gelungen. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich das letzte Mal ein Ei zum Frühstück gegessen habe. In letzter Zeit gab es nur kalte Cornflakes oder Müsliriegel, aber das sage ich ihr nicht. Ich zucke nur mit den Schultern, als wäre ein Ei nicht die Welt, als glitte jeden Tag ein dampfendes warmes Frühstück auf meinen Teller.
    «Du hast dir die Haare abgeschnitten», sagt sie.
    Ich hatte mich schon gefragt, wann sie damit anfinge. Sie starrt darauf, seit sie hier ist. «Ganz schön kurz, was? Aber sicher ist das jetzt die neue Mode», sagt sie.
    «Nicht wirklich», sage ich.
    «Früher hatte ich auch mal einen Bubikopf», sagt sie. Ich habe keine Ahnung, was sie sich da zusammenquatscht.
    «Ich wollte es gar nicht abschneiden», sage ich. «Meine Mutter hat es gemacht.»
    «Gegen meinen Willen», sage ich.
    «Es wächst wieder nach», sagt sie. Aber ich kann wohl sagen, sie wundert sich schon ein bisschen über diese Grausamkeit meiner Mutter.
    «Sie hat mich auch geschlagen», sage ich. Es springt mir einfach aus dem Mund. Und schließlich ist es keine Lüge. Sie hat mich geschlagen, an dem Tag mit dem gelben Kleid. H.S.S.H., wenn Sie es vergessen haben sollten.
    «Sie schlägt mich die ganze Zeit», sage ich etwas lauter, weil Mrs Frisk so tut, als hätte sie mich nicht gehört.
    «Nun ja», sagt Mrs Frisk, «das ist …» Aber sie bringt ihren Satz nicht zu Ende. Sie dreht den Kopf nach einem unsichtbaren Geist im Türrahmen um. «Nun ja», sagt sie, «ich bin mir sicher, du kannst auch ganz schön biestig sein.»
    Am liebsten würde ich ihr mehr erzählen, ihr sagen, dass er es auch getan hat. Und nicht nur ins Gesicht geschlagen, sondern mit Stöcken und Riemen verprügelt, ja, dass er mir sogar die Hand auf dem Ofen verbrannt hat. Ich würde mein Hemd hochziehen, um Mrs Frisk die Prellungen und Striemen zu zeigen, wenn ich sie denn hätte. Ich will Sachen erfinden, weil ich das, was sie mir wirklich angetan haben, nicht erklären kann. Wie soll man über Zombies sprechen? Wie soll man über das sprechen, was sie mit ihr gemachthaben, in einer abgeschlossenen Kiste, damit niemand sie sehen konnte, nicht mal ihre eigene Schwester?
    «Ich weiß, ihr habt alle viel durchgemacht», sagt Mrs Frisk. Sie nimmt die Teekanne, um sich nachzuschenken. Ihre Hand ist etwas unsicher, und der Tee schwappt wie eine Flutwelle aus der Tasse.
    «Ups», sagt sie.
    Ups
, ist das zu fassen? Ist das alles, was sie zustande bringt?
    Ich lege meine Serviette auf den verkleckerten Tee. Nicht, weil ich nett sein wollte, es ist nur ein blöder Reflex.
    «Danke», sagt Mrs Frisk.
    «Sie hat mich in Wirklichkeit nur einmal geschlagen», sage ich, um die Dinge ins rechte Licht zu rücken. Ich möchte nicht, dass Mrs Frisk Ma bei den Behörden meldet. Wir haben so schon genug Ärger.
    «Könnte ich etwas Tee haben?», frage ich.
    «Aber sicher», sagt sie. «Magst du Tee?» Sie gießt etwas in meine Tasse. Die rote Flüssigkeit schlägt eine Brücke zwischen uns beiden.
    «Ihr werdet alle sterben», sage ich. Ich sage es ganz leise, wie ein Gebet.
    «Was war das?», fragt Mrs Frisk. Aber ich weiß, sie hat mich gehört. Jeder kennt die Worte des blauäugigen Terroristen.
    «Du musst das alles vergessen», sagt sie. Sie legt mir noch ein Toastbrot mit Butter auf den Teller. «Möchtest du Marmelade?», sagt sie.
    Ich frage sie, ob sie sich an meine Schwester erinnert.
    «Ja, natürlich», sagt sie.
    «Weißt du», sagt sie, «in ein paar Jahren wirst du…» Wieder ein abgebrochener Satz. «Du kannst jetzt nichts

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