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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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sage ich. «Im Dunkeln habe ich gesehen, wie du ihn gefickt hast.»
    «Du bist eine Lügnerin», bellt sie mir direkt ins Gesicht. Irgendwie macht es mich glücklich, es jemanden sagen zu hören.
    «Was hast du gesehen?», sagt sie. «Nichts hast du gesehen.»
    Ich frage mich, wann sie so stark geworden ist. Ob Kevins Finger es vielleicht gemacht und etwas Selbstvertrauen in sie eingepflanzt hat. Wenn der Finger eines Jungen in dich dringt, bist du ein anderer Mensch.
    «Er interessiert mich nicht», sagt sie. «Und wenn du es gesehen hast, warum hast du ihn nicht daran gehindert? Du hättest ihn aufhalten können. Du hättest mir helfen können, Mattie.»
    Ich muss schlucken, als sie das sagt. Und wie gerufen läuft eine Träne über Annas Wange.
    «Tut mir leid», sage ich. Und da kullert die zweite Träne. Anna ist meine Schwester wie sonst niemand, es kommt alles zurückgeströmt. Kein Zweifel, wir lieben einander noch immer.
    «Kommst du mit mir?», frage ich.
    «Wohin?»
    Aber ich fürchte mich, es ihr zu sagen.
    «Gehen wir zu Mool?», schlage ich vor. Wenn ich sie zu Mool rumkriege, denke ich, habe ich sie schon halb im Zug.
    «Zieh mal deine Mütze ab», sagt sie.
    «Warum?», frage ich.
    «Ich will es sehen», sagt sie. Ich bin mir nicht sicher, ob das wieder ein Trick ist, mit Carol Benton hinter den Büschen. Aber es ist mir egal. Ich setze die Mütze trotzdem ab
    «O Gott», sagt Anna. «Wir haben es wirklich getan.»
    «Du hast es nicht getan», sage ich.
    «Ich hätte ihn aufhalten müssen», sagt sie.
    «Du hast es versucht», sage ich.
    Ich betaste mein Haar und fühle das Fell. «Es ist, als hätte er mich vergewaltigt», sage ich.
    Und dann bricht wie so manches Mal Schweigen über uns herein.
    «Ich muss noch Englisch fertig machen», sagt Anna.
    «Ich helfe dir», sage ich. «Um was geht es?»
    «Einen Aufsatz», sagt sie. «Über diese blöde Geschichte.»
    «Welche Geschichte?»
    «Die mit dem Mann in der Badewanne. Setz deine Mütze wieder auf», sagt sie.
    «Ich habe massenhaft Einfälle zu dieser Geschichte», sage ich. «Ich kann dir helfen.»
    Sie schüttelt den Kopf und geht los in Richtung Schule. Ich folge ihr.
    «Nein», sagt sie. «Ich meine es ernst.» Sie hält sich auf Abstand. «Meine Mutter will das nicht.»
    «
Was
will sie nicht?», frage ich. Ich versuche nicht zu schreien.
    «Geh nicht neben mir», sagt sie. «Bitte», sagt sie. «Wir sehen uns später.»
    «Warte», sage ich. Ich renne ihr hinterher. «Nimm das.» Ich gebe ihr den Zettel aus meiner Tasche. Ich kann die Adresse schon auswendig.
    «Wenn ich dich heute Abend nicht anrufe», sage ich, «gib das meinem Vater.»
    «Was ist das?», fragt sie. «Wo willst du hin?»
    Aber ich antworte ihr nicht, ich marschiere einfach ab. Ich überquere die Straße, und als ich zurückblicke, tut Anna das Unglaubliche. Sie wirft den Zettel mit Louis’ Adresse in einen Abfalleimer. Erst habe ich das Gefühl, mir drehe sich der Magen um, aber dann wird mir klar, was sie da eigentlich tut. Auch sie hat sich die Adresse gemerkt, und jetzt lässt sie den Beweis verschwinden. Braves Mädchen, denke ich. Gut gemacht.

Sechsunddreißig
    Kennen Sie diese Mädchen, die die Feen erfunden haben? Ich meine die beiden, die Bilder ausgeschnitten und an Blumen gesteckt haben, und alle haben ihnen geglaubt? Das ist schon eine Weile her, es war in England, glaube ich. Früher, in den alten Tagen von Sherlock Holmes. Manchmal setzten sich die Mädchen ein paar Feen auf die eigenen Schultern, und dann machte jemand ein Foto. Wenn man sie heute sieht, diese Fotos, denkt man gleich, das sei alles nur gefälscht. Aber was soll’s? Ich finde, es war ein guter Versuch. Und sowieso, sind Lügen über Feen nicht unerträglich? Es gibt Sachen, an die
will
man einfach glauben. Und die Leute glauben immer noch an diese falschen Feen, auch jetzt noch, da die Mädchen tot sind und das Wort erschwindelt in ihre Grabsteine geritzt ist.
    Die Sache ist die, ich habe auf dem Weg zum Bahnhof zwei kleine Mädchen gesehen. Sie hielten Händchen und rannten zur Schule und brachten mich auf alle möglichen Gedanken. Sie waren richtig niedlich mit diesem Glitzerzeug auf den Lippen, das kleine Mädchen so gern mögen. Ich wette, es schmeckte nach Erdbeeren. Sie kicherten um die Wette und hatten kleine Fausthandschuhe an. Es ist ein Kunststück, mit Fausthandschuhen Händchen zu halten, aber sie taten es. Als ich sie so sah, fühlte ich mich irgendwie, als wäre ich ihre

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