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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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mehr daran ändern», sagt sie. Dann fliegt plötzlich ihre Hand zu mir herüber und fängt an, meine Finger zu tätscheln. Ihre Stimme wird lauter, als wärejetzt Märchenstunde für die Kinder. «Ich weiß noch, als du ein Baby warst», sagt sie. «Du bist immer mit deinen Eltern herumspaziert, kannst du dich daran erinnern?» Mir ist klar, sie wechselt das Thema, um mich abzulenken. «Du wolltest immer laufen», sagt sie. «Sobald du auf zwei Füßen warst, konnte niemand dich aufhalten. Wenn Donald und ich vor dem Haus standen, kamst du anmarschiert und deine Mom und dein Dad hinterher. Die kleine Marschiererin, sagte Don immer.»
    Etwas in mir wollte sie unterbrechen, aber um ganz ehrlich zu sein, ich war wie gebannt. Außerdem hätte ich sie wahrscheinlich sowieso nicht bremsen können, sie hatte richtig abgehoben, so war sie in Fahrt, was für eine große Marschiererin ich war, und meine süße Stimme, und wie ich auf meinen Beinchen wackelte, und oh!, was du für einen Dickkopf hattest, sagt sie, entschlossen wie ein kleiner Soldat.
    «Wohin bin ich gelaufen?», frage ich. «Wo wollte ich hin?»
    «Das war ganz egal», sagt sie. «Bis zur Ecke und wieder zurück. Sogar der Regen konnte dich nicht aufhalten. Du hattest deinen eigenen kleinen Regenschirm und alles.»
    Es machte mich schläfrig, ihr zuzuhören. Ich fragte mich, ob Mrs F im Geheimen vielleicht hypnotische Kräfte besaß. Ich musste mir einen Ruck geben, um mich loszureißen.
    «Danke fürs Frühstück», sage ich.
    Mrs Frisk steht auf und folgt mir bis zur Tür. Bevor ich rausgehe, küsst sie mich auf die Stirn. Es ist keine große Sache. Eher so, wie wenn man einen Brief abstempelt. Im Grunde ist es ein Wegschicken. Und es kommt nicht mal von der richtigen Person. Der Kuss, den ich mir wünsche, käme von Kevin. Aber vielleicht ist Anna noch im Rennen. Vielleicht muss ich bis nach Desmond fahren, um ihn mir zu holen. Nur vierzehn achtzig, hin und zurück.
    «Könnten Sie mir zwanzig Dollar leihen?», frage ich. «Mein Pa hat vergessen, mir das Geld dazulassen.» Ich erzähle ihr, in der Schule sei heute ein Bücherverkauf, und ich wolle mir für die freien Tage über Thanksgiving ein paar Sachen zu lesen besorgen.
    «Sicher», sagt Mrs Frisk. «Warte, ich hole nur eben meine Geldbörse.»

Vierunddreißig
    Als ich weggehe, kann ich nicht anders. Ich blicke zurück und gucke das Haus an. Sein Gesicht. Seine Augen und den Mund. Manchmal tut mir dieses Haus leid wie sonst was. Festgenagelt da zu stehen und uns alle aushalten zu müssen. Haben Sie schon mal über das Leben von Häusern nachgedacht? Ich meine die Wände und die Türen selbst, nicht die Leute, die drin wohnen. Ich weiß, das ist alles nur Holz und Backstein und Metall, aber es scheint nicht tot zu sein. Es hat eine Art Persönlichkeit. Manchmal frage ich mich sogar, was für ein Leben Stühle führen. Stühle und Schuhe, ja sogar Gabeln oder Löffel, wenn sie auf bestimmte Weise in der Schublade liegen. Manchmal sehe ich zwei Löffel beieinander, und sie wirken wie das ideale Paar.
    Die Sache ist nämlich die, ich will nicht enden wie Ma und Pa. In einem Haus voller Bücher und Staub, aus dem alle Liebe weg ist. Und dazu noch diese knarrende Treppe und der traurige Gefühlsdusel von einem Hund, der im Kreis läuft und die unsichtbare Tür sucht, die ihn ins Weite führt, wer weiß wohin. Ich will etwas anderes, aber die Worte dafür sind noch nicht erfunden. Im Augenblick ist es nur ein wirres Gebrabbel in meinem Bauch. Während ich die Straße hinuntergehe, stelle ich mir vor, wie der verstorbene Mr Frisk durch die Wohnzimmergardinen aus dem Fenster lugt. Die kleine Marschiererin, sagt er, schau an, das ist aus ihr geworden.
    Kurz bevor ich bei Anna bin, gucke ich auf die Uhr. Es ist früh genug, ich kann sicher sein, dass sie noch nicht weg ist. Ich stelle mich zwei Häuser entfernt hinter einen Baum. Die kleinen Lampen auf dem Rasen der McDougals sind dunkel, und auf dem Dach sitzteine Taube. Vielleicht ist es eine Turteltaube. Komisch, während ich Annas Haus beobachte, merke ich, dass die Wächter mich beobachten. Und sie waren nicht nur über mir, sondern rings um mich herum. Ich konnte praktisch ihre Gedanken hören.
Wird sie es tun? Wird sie ihren Auftrag erfüllen?
Ich spürte es, heute musste der Tag sein. Es war, als würde ich geführt. Ich hatte es beinahe schon im Gefühl, am Ende des Tages berühmt zu sein. Ich hatte Louis’ Adresse in der Tasche. Vielleicht kommt Anna

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