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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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wie ein Blitz, die perfekte Geschichte. So grauenhaft, dass ich fast umfalle. Louis ist beides, der Liebhaber
und
der Mörder. Er hat sie geschubst und ist dann hinterher. Mit ihr in den Tod gesprungen. Nur dass er nicht gestorben ist. Er hat nur einen Teil seines Körpers unter den Rädern verloren. Den Beweis direkt vor meinen Augen, wird mir ganz schummerig. Als er sich mit dem Schokoladenlappen in der Hand aufrichtet, kann ich ihm nicht ins Gesicht sehen. Ich gehe rückwärts, aber es gibt kein Wohin. Er macht einen Schritt, und ich fürchte, jetzt schlägt er mich zusammen.
    «Ich kümmere mich um alles», sagt er. «Sag ihr einfach, sie soll mich anrufen.»
    Er setzt wieder sein Kumpelgesicht auf, aber es verrutscht, so fest beißt er die Zähne zusammen. Ich merke, wie er versucht, sich selbst zu beruhigen und die richtige Schau für mich abzuziehen. Aber was immer in ihm sein mag, es ist zu groß, er hat es nicht unter Kontrolle. Er schmeißt das nasse Tuch durchs Zimmer. Es klatscht an die Wand.
    «Ich meine, warum behandelt sie mich wie Luft? Ein Jahr, ein ganzes beschissenes Jahr habe ich gewartet.»
    Es war, als spräche ich selbst. Als guckte ich in einen Spiegel. Dieselben blöden Lügen. Nur dass Louis nicht log. Es war grauenhaft. Er wusste wirklich nicht, dass Helene tot war. Es machte ihn zu einem Monster, schlimmer, als wenn er sie getötet
hätte
. Es war, als wäre er ein Kind und ein Monster in einem. Gemein und dumpf undvoller Hoffnung. Ich wollte ihn töten. Ihn schubsen und in den Boden stampfen, damit er still war.
    «Ich liebe sie», sagt er.
Ich liebe sie.
    Und da tue ich es. Ich boxe ihm in den Bauch, so fest ich kann. Aber es klappt nicht. Ich falle einfach nur in ihn hinein. «Weißt du’s nicht?», schreie ich. «Weißt du’s denn nicht?»
    «Was?», sagt er. Und dann verdreht er die Augen, sie werden wild.
    Eine Sekunde lang kann er nicht sprechen.
    «Hat sie’s weggemacht?», fragt er. «
Hat sie es getan?
»
    «Verdammt noch mal, Herrgottverdammtescheiße», sagt er. «Ich habe ihr doch nur gesagt, sie soll mit diesen Leuten reden. Ich habe ihr doch nicht gesagt, sie soll …»
    Bevor ich fragen kann, wovon er eigentlich redet, stapft er zum Bett und packt mit einer Faust die Laken. Ich sehe die Muskeln unter seinem Hemd zucken. Er reißt die Laken hoch und schleift sie über den Boden.
    «Hat sie es totgemacht?», fragt er. Sein ganzer Körper sieht mich an.
    Plötzlich wird mir heiß. Unerträglich, diese Hitze, als stünde der Raum in Flamme. Um nicht die Besinnung zu verlieren, lasse ich meinen Mantel auf den Boden fallen. Louis starrt mich an, als stünde ich nackt da.
    «Was zum Teufel ist das?», sagt er. «Warum hast du das an?»
    Das gelbe Kleid. Dasselbe, das ich an H.S.S.H. getragen habe. Ich hatte ganz vergessen, dass ich es heute Morgen wieder angezogen habe.
    «Soll das ein Witz sein?», sagt Louis.
    «Ich habe ihr das Kleid geschenkt», sagt er. «Was wird hier eigentlich gespielt, verdammt noch mal?»
    Er schmeißt den Klumpen Bettzeug hin und rennt zur Tür.
    «Helene!», ruft er in den Hof und rennt barfuß nach draußen. «
Helene

    Ein ärgerlicher Vater, der sein ungezogenes Kind sucht. So klingt er.
    Ich stehe im Eingang und beobachte ihn. Ich kann nichts tun. Ich weiß, ich bin in eine andere Welt gegangen. Unflätige Wörter und Lügen und gezwirbelte Bettlaken. In dieser Welt leben die Erwachsenen, und plötzlich habe ich Angst, ich müsse für immer hierbleiben. Ich habe Angst, dass sie mich nicht an meinen alten Platz zurücklassen.
Ein Baby o mein Gott ein Baby
.
    «Wo bist du?», schreit Louis.
    Ich folge ihm nach draußen in den schrecklichen Garten. Vorbei an den verrückten Rosen, dem Unkraut. Eine Tote, die sich hinter den Büschen versteckt, ist schlimmer als ein Terrorist. Ich sehe die blinde Frau am Fenster des großen Hauses. Immer wieder meine Mutter.
    Louis und ich gehen tiefer und tiefer in den Garten, aber in Wirklichkeit laufen wir nur im Kreis. Ich denke daran, ihn aufzuhalten, aber ich tue es nicht. Wenn jemand glaubt, seine Geliebte sei am Leben, hinter einem Baum versteckt, wäre es ein Verbrechen, ihm das Gegenteil zu sagen. Ich sage kein Wort. Ich tue für ihn, was niemand je für mich getan hat. Ich lasse ihn glauben. Und vielleicht ist das der einzige Zaubertrick, um sie zurückzuholen. Vielleicht sind die magischen Kräfte eines Liebhabers stärker als die einer Schwester oder einer Mutter. Es ist meine letzte Chance, also

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