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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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aus wie wolkenkratzerhafte Comic-Sandwiches. Nur mit dem Bett stimmt etwas nicht. Die Decken liegen irgendwo, als wäre etwas passiert. Ein Albtraum oder Sex oder wer weiß was für ein Kampf. Die Laken sind verdreht, beinahe zu Seilen gezwirbelt.
    Bevor wir reingegangen sind, hat er mich mit tausend Fragen bombardiert. Ich habe nicht mal die Hälfte verstanden und darum einfach den Mund gehalten. Außerdem war ich aus irgendeinem Grund nicht so in redseliger Laune. Louis sah sich immer noch misstrauisch um, als säße vielleicht jemand hinter den Büschen.Komisch, irgendwie hoffte ich, es wäre wirklich jemand da. Wer auch immer. Irgendjemand, um ihn aufzuhalten, wenn er zu nahe kam. Als ich schließlich doch mit ins Haus ging, hatte er mich zehnmal gefragt. Und ich fror, wenn Sie die ganze Wahrheit wissen wollen. Meine Füße fühlten sich an, als wären sie beim Zahnarzt gewesen.
    «Setz dich», sagt er, aber ich tue es nicht. Ich bleibe einfach an der Tür stehen. Zwischen hier und der Küche gibt es keine Wand, sodass ich jede kleinste Bewegung, die er macht, genau verfolgen kann. Ich denke daran, meinen Rucksack abzusetzen, aber ich will mich hier nicht wie zu Hause fühlen.
    Ich weiß, was ein falsches Lächeln ist, und Louis hatte eins, das Überstunden machte. Die ganze Zeit redet er mit mir, als wäre ich ungefähr fünf Jahre alt.
Ich mag deine Mütze. Richtig cool, diese Mütze. Soll ich die Heizung höherstellen? Geht’s dir gut? Wissen deine Eltern, dass du hier bist?
Es ist nervig, wenn Leute so mit einem reden, aber andererseits hatte er eine schöne Stimme. Tief und grollend, aber auch irgendwie ruhig. Wie ein ferner Donner.
    Es dauert lange, heiße Schokolade mit einem Arm zu machen. Obwohl er nur Fertigpulver nimmt, ist es immer noch viel Arbeit. Manchmal benutzt er die Zähne oder das Kinn. So etwas habe ich noch nie gesehen. Aber warum ist er immer noch nervös? Ich habe ihm doch klipp und klar gesagt, dass ich allein gekommen bin. Warum sollte er sich vor einem Kind fürchten? Er gießt das heiße Wasser so langsam in die Tasse, als führte er ein Experiment durch. Zu sehen, wie sorgfältig er ist, beruhigt mich. Jetzt kann ich richtig gut durchatmen.
    «Sie hat mir deine Briefe gezeigt», sage ich.
    Er ist noch ganz bei seinem Experiment und antwortet nicht.
    «Sie erzählt mir alles», sage ich.
    Kaum habe ich das gesagt, komme ich mir vor wie ein Idiot. Ich konnte mich nicht mal mehr erinnern, warum ich eigentlich hergekommen war. Auf einmal wollte ich über meine Schwester nichts mehr wissen. Ich hatte schon genug Geschichten im Kopf.
    Aber das Komische ist, ich rede einfach weiter. Wenn man sich wie ein Idiot vorkommt, sollte man den Mund halten, aber manchmal tue ich das Gegenteil.
    «Ich weiß alles über dich», sage ich.
    Mit der Tasse in der Hand dreht Louis sich um und starrt mich an. Er lässt das Lächeln fallen. Etwas Neues kommt in seine Augen. Etwas Schärferes. Sie sind grün, und sie sind wie Annas Augen, nicht menschlich. Wenn man hineinsieht, vergisst man fast, dass er nicht vollkommen ist. Wenn man ihm in die Augen guckt, wächst der Arm wieder an.
    Ich weiß nicht, was zwischen uns ausbricht, Liebe oder Krieg.
    «Hat sie dich hergeschickt?», fragt er.
    Ich setze ein Lächeln auf, aber es fühlt sich etwas schief an.
    «Sie hat mir nie erzählt, dass sie überhaupt eine Schwester hat.»
    Als er das sagt, spüre ich mein Gesicht rot anlaufen. Meine Knie werden wackelig. Aber ehe ich mich verteidigen kann, redet er weiter. Die Worte stürzen so schnell aus ihm heraus, dass ich kaum folgen kann. Aber eins kann ich wohl sagen, es ist nicht richtig, wie er mit mir spricht. Er schreit praktisch. Jedes zweite Wort ist Helene. Sag ihr dies, sag ihr das, so geht es in einem fort. Für wen hielt er mich eigentlich? Glaubte er, ich sei ihre Sekretärin?
    «Ich weiß, dass sie wütend auf mich ist», sagt er. Als er mir die Tasse mit der heißen Schokolade gibt, schwappt etwas auf den Teppich. Er beeilt sich, ein Küchentuch zu holen, und als Nächstes kniet er direkt vor mir auf dem Boden. Schrubbt mit der einen Hand, und statt der anderen schleift ein leerer Ärmel über den Teppich.
    Kann das Louis sein?, denke ich. Und nicht nur wegen dem Arm. Er ist zu alt. Mindestens fünfundzwanzig, vielleicht mehr. Er könnte dreißig sein. Er hat schon Falten im Gesicht. Ich wünschte, er stünde von da unten auf. Warum müssen alle Erwachsenen zu Tieren werden?
    Da auf einmal trifft es mich

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