Matrjoschka-Jagd
selbstverständlich nichts in den Weg legen. Je schneller wir die Sache erledigt haben, desto besser.« Er lächelte wieder. Sein Gebiss war zweifellos Schweizer Qualitätsarbeit.
»Wer hatte Kontakt mit ihr?« Er schaute zur Decke. »Lassen Sie mich einen Augenblick nachdenken.« Er erhob sich und holte Papiere aus einem Schrank. »Das sollten wir gleich haben.« Er ging, leise die Namen vor sich hinflüsternd, eine lange Liste durch. »Ich denke, dass Sie mit Herrn Benvenuto sprechen sollten, er ist seit vielen Jahren unser Maître de Service.«
Nino Zoppa wurde unruhig und begann mit den Füßen unter dem Tisch zu scharren. Dann stieß er Nore Brand an. »Und Jelena«, zischte er leise.
Der Direktor las weiter. »Und mit Angela Lopez. Einem unserer Zimmermädchen.« Er legte die Liste wieder in den Schrank zurück, schloss ab und setzte sich wieder hin. »Herr Benvenuto und Frau Lopez könnten Ihnen Auskunft geben, denn sie hatten regelmäßig Kontakt mit Frau Ehrsam. Ich werde veranlassen, dass Sie mit den beiden so schnell wie möglich reden können. Wir haben einen kleinen Sitzungsraum, den wir Ihnen sehr gerne zur Verfügung stellen.«
»Danke«, sagte Nore Brand. »Aber gehört nicht auch Jelena Petrovic zu den Personen, mit denen wir uns unterhalten sollten?«
»Jelena Petrovic? Jelena Petrovic? Ach ja, sie hat heute frei, deshalb bin ich nicht auf sie gekommen. Ja, ja, vielleicht kann auch Jelena Petrovic Ihnen behilflich sein.«
»Ich habe gehört, dass Frau Ehrsam ihren Namen öfters erwähnt hatte.«
Die kleine Übertreibung konnte man durchgehen lassen.
»Entschuldigen Sie mich einen Augenblick. Ich möchte das gleich klären.« Er erhob sich und eilte aus dem Raum.
Warum hatte er nicht das Telefon auf seinem Schreibtisch benutzt?
An der Wand hinter seinem Schreibtisch hing ein Stich. Eine Stadtansicht. Nore Brand stand auf und beugte sich etwas vor. Der Newski Prospekt. St. Petersburg.
Plötzlich stand der Direktor wieder im Raum. Rasch und lautlos war er zurückgekommen. Er folgte ihrem Blick. »St. Petersburg«, sagte er.
Nore Brand nickte.
Der Direktor setzte sich hin. »Es tut mir leid, aber ich konnte nicht in Erfahrung bringen, wo Frau Petrovic sich an ihren freien Tagen aufhält. Ich werde Ihnen auf jeden Fall Frau Lopez und Herrn Benvenuto bestellen.«
»Würden Sie veranlassen, dass Frau Petrovic mit uns Kontakt aufnimmt, sobald sie wieder im Haus ist?«
»Selbstverständlich.« Er kam um den Tisch herum auf sie zu und lächelte sie an. »Es wäre eine große Erleichterung für uns alle, wenn Sie diese Sache rasch abschließen könnten. Wir sollten Frau Ehrsam wirklich in Frieden ruhen lassen. Herr Bucher ist sicher sehr froh über Ihre Unterstützung. Er wirkt in letzter Zeit oft abgearbeitet.« Er zögerte unmerklich. »Manchmal auch etwas verwirrt. Die Arbeit scheint ihm über den Kopf zu wachsen. Ob das wirklich nur mit der Arbeit zu tun hat, weiß ich nicht.«
»Das Übliche, Abnutzungserscheinungen«, sagte sie. Ein Phänomen, mit dem der Direktor nie zu kämpfen haben würde. Er gehörte zu den Menschen, die sich ihr Leben gut einzurichten wussten, und dies ganz bestimmt auf Kosten anderer.
Plötzlich fühlte Nore Brand Nervosität in sich aufsteigen; ihr war, als ob jemand im Begriff war, ihr den Teppich unter den Füßen wegzuziehen. Aus irgendeinem Grund hatte sich eben etwas verändert.
Sie nickte dem Direktor zu und verließ sein Büro. Nino Zoppa ging hinter ihr her wie ihr langer Schatten.
»Der Herr vom Empfang wird Sie zum Sitzungszimmer führen und ich veranlasse gleich, dass Frau Lopez und Herr Benvenuto sich bei Ihnen melden.«
Dann war der Direktor weg.
»Nicht einmal angeschaut hat mich diese Krawattenratte«, zischte Nino Zoppa, als der Direktor außer Hörweite war.
»Wundert Sie das? Sie haben ja auch den Wortschatz eines Achtjährigen. Ich werde mit Herrn Benvenuto und Frau Lopez sprechen. Und Sie finden Jelena Petrovic. So schnell wie möglich.«
Nino Zoppa stob davon.
Warum war ausgerechnet Jelena Petrovic nicht im Haus?
Nore Brand hatte sich am Morgen von Bucher von ihrem Plan ablenken lassen. Er hatte sie zu Elsi Klopfenstein geschickt. Mit Absicht?
Ausgerechnet die einzige Person, die vermutlich mehr wusste als alle anderen Angestellten, war nicht da.
Nore Brand spürte feurige Stiche im Magen. Da war er wieder, dieser altbekannte Wettlauf mit der Zeit, der ihren Beruf zur Hölle machte. Aber diesen Wettlauf gewann nur, wer nicht
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