Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Matrjoschka-Jagd

Matrjoschka-Jagd

Titel: Matrjoschka-Jagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marijke Schnyder
Vom Netzwerk:
nach Nino Zoppa um. Er stand unten an der geschwungenen Treppe, die in die erste Etage führte, aber offensichtlich kaum benützt wurde. Der rote Teppich war makellos. Er winkte sie zu sich und deutete auf die Bilder an den Wänden.
    »Schauen Sie sich das mal an. So etwas kaufen diese Reichen, die hier logieren. Diese Preise. Die spinnen ja.«
    Nore Brand folgte seinem Blick. Ja, auch das galt als Kunst: Clowns mit fürchterlichen Grimassen.
    Plötzlich hörte Nore Brand die Stimme des Direktors hinter sich. Er streckte ihr die Hand entgegen. »Guten Morgen, Frau Brand. Haben wir noch einige Fragen?«
    »Haben wir noch einige Fragen?«, äffte Nino Zoppa ihn leise nach. »Fiese Ratte.«
    Nore Brand zuckte zusammen.
    Der Direktor hielt ihre Hand einige Sekundenbruchteile zu lange fest. »Ich war gestern der festen Überzeugung, dass sich die Sache geklärt hat und dass wir Frau Ehrsam in Frieden ruhen lassen können.« Er lächelte. »Sie sehen erfrischt aus. Die Höhenluft tut Ihnen gut.«
    »Wenn sie Frau Ehrsam nur halb so gut getan hätte, dann würden wir nicht hier stehen«, erwiderte sie und schaute direkt in sein Gesicht. »Leider sind da noch ein paar Fragen aufgetaucht.«
    »Dann darf ich Sie in mein Büro bitten?« Mit einer schwungvollen Bewegung bat er die beiden, ihm zu folgen. »Unter vier Augen oder unter sechs?«
    Aus seiner Betonung sprach der Wunsch, mit ihr allein zu sprechen. Damit hatte sie gerechnet.
    »Unter sechs. Es handelt sich ja um eine Routineangelegenheit. Nichts Besonderes. Aber wenn Sie gerne möchten …?«
    »Nein, nein, ganz und gar nicht. Es war selbstverständlich nur eine Frage wegen der Stühle. Assistenten müssen doch Gelegenheiten zum Lernen bekommen.« Rasch schob er einen dritten Stuhl an den Tisch.
    Nein, er hatte sie nicht mehr erwartet, aber er zeigte Haltung. Geübt und geschliffen im alltäglichen Umgang mit anspruchsvollsten Gästen, die sich als gut bezahlende Patienten Rechte herausnahmen, auch Rechte der unangenehmsten Art.
    »Ich habe erfahren, dass Frau Ehrsam in diesem Hotel eine sehr privilegierte Stellung genoss. Sie war im wahrsten Sinn des Wortes hier zu Gast.«
    Der Direktor hob fragend seine Augenbrauen.
    »Sie bezahlte ihren Aufenthalt nicht«, präzisierte sie.
    »Ach ja, natürlich. Das hatte ich ganz vergessen. Diese Geschichte ist so alt, dass sie mir nicht mehr bewusst ist. Frau Ehrsam war in der Tat, wie Sie sagen, privilegiert in diesem Haus.«
    Er beugte sich über den Tisch. »Da muss ich etwas ausholen. Frau Ehrsam personifiziert, leider muss ich heute sagen ›personifizierte‹, eine alte Tradition bei uns. Sie stammt aus der Zeit, als mein Vater dieses Hotel führte. Ein großzügiger Mann und gleichzeitig sehr geschäftstüchtig. Das muss in unserer Branche Hand in Hand gehen, sonst geht nichts. Vor einigen Jahrzehnten hatten wir Probleme. Die goldenen Jahre sind längst vorbei. Die Krisenzeiten und die beiden Kriege. Mein Vater überlegte sich damals, dass es eine lohnende Sache wäre, in gewissen Kreisen natürlich«, er lächelte um Verständnis bittend, »solche Geschenke, wenn ich das so nennen kann, zu machen. Er hoffte, damit ihre Bekannten anzulocken. Frau Ehrsam hat wirklich ihr Leben lang davon profitiert. Es gab zwei oder drei wichtige Persönlichkeiten, die in den Genuss dieser Großzügigkeit kamen. Es war sozusagen eine Win-win-Situation. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    »Win-win«, flüsterte Nino Zoppa und schnippte mit den Fingern einen Takt dazu.
    Der Direktor würdigte ihn keines Blicks. Über sein Gesicht legte sich wieder ein Ausdruck des Bedauerns. »Frau Ehrsam war die Letzte dieser Privilegierten. Sie verstehen bestimmt, dass man heutzutage keine solchen Geschenke mehr machen kann. Unser Betrieb hat keine existenziellen Probleme, noch nicht, aber wer Luxus will, muss ihn bezahlen können. Und wer hat, bezahlt gerne und redet auch davon, was er sich leisten kann.« Er lehnte sich im Stuhl zurück und schaute sie an.
    Dieser Mann sah nicht so aus, als ob ihm ein kalter Wind um die Nase wehen würde. Wer um sein wirtschaftliches Überleben kämpfte, sah anders aus.
    »Ich möchte die Sache zum Abschluss bringen, so rasch wie möglich.«
    Er schaute sie fragend an.
    »Ich bin auf Ihre Unterstützung angewiesen: Das heißt, wir müssen hier noch einige Gespräche führen. Ich nehme an, dass ein paar Ihrer Angestellten regelmäßig Kontakt mit Frau Ehrsam hatten.«
    Der Direktor nickte ihr zu. »Ich werde Ihnen

Weitere Kostenlose Bücher