Matterhorn
Jackson. Wie geht’s Ihnen?«
»Scheiße, was glauben Sie denn?«
Mellas holte Atem und nickte. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Es war deutlich, dass Jackson ihn nicht sehen wollte.
»Hören Sie, Lieutenant, ziehen Sie einfach Leine.«
Andere Marines, die von nahe gelegenen Betten aus halb zugehört hatten, widmeten sich wieder ihrer Lektüre oder nestelten am Zugband ihrer hellblauen Schlafanzüge.
Mellas, ebenfalls im Schlafanzug, stand allein und fühlte sich plötzlich nackt. Angesichts von Jacksons Beinstümpfen kam er sich wie ein Bittsteller vor. »Jackson?«
Wieder drehte Jackson den Kopf und sah Mellas kühl an.
»Jackson, ich …« Mellas bemühte sich, eine gewisse Würde zu wahren, wollte auf keinen Fall vor aller Augen zusammenbrechen. »Jackson, es tut mir leid, dass Ihnen das passiert ist.«
Jackson drehte sich wieder der Wand zu. Dann begannen seine Lippen zu beben. »Ich hab meine Beine verloren«, sagte er mit zitternder Stimme. Er fing zu stöhnen an. »Ich hab meine Beine verloren.« Er drehte sich zu Mellas. »Wer vögelt schon mit jemandem ohne Beine?« Seine Stimme hob sich, und er brach völlig zusammen. »Wer vögelt schon mit einer gottverdammten Wassermelone?«
Mellas wich ein paar Schritte zurück, schüttelte den Kopf, hatte das Gefühl, etwas Unrechtes getan zu haben, weil er noch unversehrt war, weil er zusammengeklappt war, weil er Jackson die Schützenlöcher hatte inspizieren lassen. Er wollte Vergebung, doch es gab keine. Jackson warf sich mittlerweile brüllend hin und her. Sanitäter eilten herbei, um ihn festzuhalten, und einer stieß ihm eine Injektionsnadel in den Oberschenkel. »Sie gehen jetzt besser, Lieutenant«, sagte der Sanitäter.
Mellas humpelte auf den Gang hinaus. Er lauschte Jacksons gedämpftem Gebrüll, bis das Medikament zu wirken begann, dann ging er langsam zur Offiziersstation zurück.
Er schlief und schlief und wachte nur zu den Mahlzeiten auf. Als er schließlich den Mut aufbrachte, Jackson erneut zu besuchen, lag jemand anders in dessen Bett. Jackson war nach Japan geflogen worden.
Zwischen den Verbandswechseln duschte Mellas ausgiebig, wobei er die Bitte der Navy ignorierte, Wasser zu sparen. Dann schlief er weiter. Ab und zu sah er die Krankenschwester von der Triage. Sie gingen einander geflissentlich aus dem Weg. Er sah auch die rothaarige Schwester, die auf der Station ein- und ausging. Er konnte nicht anders, als sie anzusehen. Zu seinem Missvergnügen schien sie sich mit der Triage-Schwester gut zu verstehen.
Er versuchte, die rothaarige Schwester in ein Gespräch zu verwickeln, aber es war klar, dass sie im Dienst war und wenig Zeit dafür hatte. Sie war höflich und schenkte ihm gelegentlich ein warmes Lächeln, nachdem sie sein Auge untersucht hatte. Bald führten sie kurze Unterhaltungen miteinander. Er erfuhr, dass sie ebenfalls aus einer Kleinstadt, allerdings in New Hampshire, stammte und dass sie genau wie er früher gern Brombeeren gepflückt hatte. Obwohl er für die kurzen Unterhaltungen dankbar war, wollte er eigentlich, dass sie ihn in die Arme schloss und festhielt, so fest, als wären sie ineinandergekrochen. Aber das war völlig aussichtslos.
Binnen weniger Tage bluteten seine Wunden nicht mehr, und er wurde gefragt, ob er seine Mahlzeiten in der Offiziersmesse einnehmen wolle. Er bejahte.
In seinen alten Stiefeln und einem frischen Tarnanzug mit dem goldenen Streifen eines Second Lieutenant am Kragen betrat er zögernd das Interieur aus poliertem Holz. Philippinische Messeordonanzen legten letzte Hand an Tischdecken. Die Tische waren mit glänzendem Besteck und weißem Porzellan gedeckt. Mellas senkte den Blick auf seine vom Teppichboden abstechenden zerkratzten Stiefel. Einer der Philippinos winkte ihn zu einem Tisch mit acht Gedecken und vier brennenden Kerzen als Tafelaufsatz. Er setzte sich. Die anderen Stühle um den Tisch wurden von Schwestern, insgesamt sieben, eingenommen.
Mellas’ Herz hämmerte vor Freude darüber, mit diesen Frauen zusammenzusitzen. Er versuchte, seine Aufregung in Schach zu halten, indem er mit den Händen über das Tischtuch strich. Einige von den Schwestern versuchten, sich mit ihm zu unterhalten, aber er konnte nicht vernünftig antworten. Er brachte kein Wort heraus. Alles, was er tun konnte, war, Essen in sich hineinzustopfen, sie anzusehen und zu lachen. Sie redeten über Armeeläden in Manila und Sasebo und über Urlaube in Taipeh oder Kuala Lumpur. Einige machten versteckte
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