Matterhorn
wir unseren Standpunkt auch klar, ohne zu töten. Wir müssen den schwarzen Mann bewaffnen, damit er sich verteidigen kann. Wir sind keine Mörder. Vielleicht lassen wir mal nachts ’ne Rauchgranate unter seinem Hintern hochgehen, oder wir schicken ihm einen Blindgänger mit ’ner Nachricht dran, wie dem Colonel.«
»Du willst noch ’ne Nachricht schreiben?«, fragte Henry. Mit einem langgezogenen Ausatmen stieß er Rauch aus. Die anderen lachten. »Dafür ist es zu spät. Viel zu spät.« Er gab den Joint weiter, dann wandte er China den Rücken zu und griff unter sein Feldbett. Er zog eine Splitterhandgranate hervor. »Das hier ist keine Rauchgranate«, sagte er und ließ sie auf der Handfläche leicht auf- und abhüpfen. Er warf sie China zu. »Ich glaub, du bist zu feige, um sie zu benutzen.«
Keiner lachte.
China wurde schlagartig klar, dass Henry ihn erneut drangekriegt hatte. Wenn er tat, was Henry verlangte, war Henry der Anführer. Wenn er es nicht tat, war er unten durch, und Henry war immer noch der Anführer.
»Das werden wir ja sehen, wer hier feige ist.« Er zog den Sicherungssplint der Granate, und alles schien sich für ihn in Zeitlupe abzuspielen. Er hatte die Schlächterei so satt, dass sein eigener Tod keine Rolle mehr spielte. Es war das gleiche selbstmörderische Gefühl von Überdruss, mit dem er unter Mörserbeschuss den Berg hinuntermarschiert war. Er war sich nur verschwommen der schreienden, rennenden, auf den Zelteingang zustürzenden Menschen bewusst. »Scheiße, er ist durchgedreht, Mann! Gleich geht hier ’ne Granate los! Mein Gott!« China, der sich mit leicht hervorschauender Zunge auf das Zählen konzentrierte, warf Henry die Granate zu und sah, wie der Sperrbügel in Richtung Zeltwand flog.
Die Augen weit aufgerissen, warf Henry die Granate zurück zu China und hechtete durch den Eingang auf den nassen Boden.
China warf die Granate in Henrys offene Truhe, knallte den schweren Deckel zu und warf eine Schutzweste obendrauf. Er hechtete zur anderen Zeltwand hinter einen Haufen Seesäcke, warf sich auf den Boden, wälzte sich von den Landebahnmatten des Fußbodens auf die Erde direkt dahinter, am Zeltrand, und schützte mit Händen und Armen seinen Kopf.
Die Explosion drosch gegen seine Ohren und seinen Körper.
Er lag im feuchten Dreck. Stille und Dunkelheit füllten sich allmählich mit einem schmerzhaften Klingen in den Ohren, dann mit dem Geruch von TNT . Sein Kopf schmerzte. Aber er war unverletzt. Er hörte das aufgeregte Durcheinander von Stimmen vor dem Zelt. Er stand auf. Jemand lüpfte die in Fetzen hängende Klappe des zerstörten Zelts.
Henry kam herein. Er zündete das Feuerzeug an und betrachtete kalt lächelnd die Überreste seiner einst so soliden Ebenholztruhe, seine von Splittern zernarbte Kommode, die aufgerissenen Seesäcke. »Dafür wirst du bezahlen, China.«
China wusste, dass Henry nicht von den Möbeln redete. Zwar hatte Henrys Image einen Kratzer bekommen, aber Macht übertrumpfte jederzeit Image – und, wie er allmählich lernte, auch jede Ideologie. Macht war die Fähigkeit, zu belohnen und zu bestrafen. Henry konnte mit Geld und Drogen belohnen. Er konnte bestrafen, indem er Geld und Drogen vorenthielt. Eine schöne Kombination. Letzten Endes aber übte er die Macht der Bestrafung aus, die nur wenige innehaben. Er war bereit zu morden. Wenn einer jemanden töten konnte, wussten alle, dass er jeden töten konnte. Dieser Art von Macht Paroli bieten konnte nur, wer bereit war zu sterben.
Voller Unbehagen und böser Vorahnungen ging China zum Kompaniebereich zurück.
Kapitel 22
E in Hubschrauber brachte Mellas die fünfzig Kilometer vom Lazarettschiff zurück in die Wirklichkeit und setzte ihn auf dem Flugfeld von Dong Ha ab. Von dort aus ließ er sich von einem Army-Laster durch ein trostloses Ödland verlassener Reisfarmen dreizehn Kilometer weit südwärts nach Quang Tri, dem Sitz der Divisionsverwaltung, mitnehmen. Mellas merkte, dass der Army-Fahrer neugierig war. Immerhin trug Mellas eine Augenklappe, hatte mehrere Schachteln Zigarren unter dem Arm, und über der Schulter hing ihm an einem komplizierten Gehänge ein Schwert.
Schließlich konnte der Fahrer nicht mehr an sich halten. »Wo haben Sie das Schwert her?«, fragte er.
Mellas musste grinsen. »Von draußen im Busch«, sagte er.
»Ah.«
Es gab einiges, was er den Uneingeweihten nicht erzählen konnte. Für sie sollte und würde der Busch ein Geheimnis bleiben.
Auf der aus
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